Wir leben in einer Entschädigungs-
und Versicherungsgesellschaft, die prinzipiell jeden Schicksalsschlag für
ausgleichspflichtig halten möchte. Nicht nur verbreitet Zivilisation seit
Anbeginn den Anspruch, das Individuum vor den Fährnissen der Zukunft immer
besser zu schützen. Maßgeblich soll der Umgang mit dem Opfer die moralische Fähigkeit
einer Gesellschaft demonstrieren, Gerechtigkeit immer umfassender zu
gewährleisten. Evolution ist mit dem Gerechtigkeitsempfinden so eng verkoppelt,
dass wir ständig messen und vergleichen und bei diesen Kalkulationen regelmäßig
zu dem wundersamen Schluss kommen, nicht so gerecht behandelt zu werden, wie
wir es doch "verdienen". Laufen die Dinge also schlecht, so kann das
niemals an uns liegen, sondern an den versagenden Entschädigungsinstanzen der
Gesellschaft. Kurzum: Das Opfer genießt einen privilegierten Status, den wir
als - mehr oder minder infantile - Auffangposition unserer Enttäuschungen gerne
einnehmen, wie immer völlig ungeachtet des Umstands, dass die wirklichen Opfer
dahinter verblassen könnten.
Goedart Palm