8/03/2015

Kunst, notleidend

Die Kunst teilt mit der Philosophie ein ähnliches Schicksal, dass hier vielfältige konkurrierende Formen der Gestaltung und Kommunikation und dort zahlreiche Einzelwissenschaften Legitimationsprobleme enorm verschärft haben. Der gegenwärtige Befund mag nur noch einen Grabgesang eröffnen. Die Kunst hat das fröhliche Spiel mit den Kontingenzen sehr weit getrieben, um darin eine angeblich unabdingbare Freiheit zu artikulieren, die sich den zweckrationalen Momenten anderer Formen gesellschaftlicher Praxis versagt. Künstler insistieren schon deshalb auf dieser fragilen Freiheit, die vorgeblich keinen anderen Ort besitzt, weil sie anderenfalls ihre eigene Rolle riskieren - auch wenn die vor allem von Illusionen lebt. Dass dabei Werke entstehen, die auch gut anderen Subsystemen (wie etwa dem der Wissenschaft) zugeschlagen werden können oder aber den Kult der Beliebigkeit so redundant wie folgenlos feiern, darf im Betrieb eher niemand wahrnehmen. Der Betrieb hat die Sinnkrise kommerziell verdrängt und präsentiert Waren, die so beliebig, wie sie entstanden sind, auch als Kunstwerke gelten dürfen (Vgl. Arthur C. Danto). Who the hell cares? Kunst ist immer so notwendig wie der gesellschaftliche Einfluss, den sie ausübt. Und der ist so hoch, dass viele Künstler ernsthaft einen Zunftwechsel in Erwägung ziehen sollten.

Goedart Palm

7/31/2015

Beltracchi und Platon

Beltracchis Motive sind fraglos zweifelhafter Natur. Aber zumindest jener Betrieb, der vorrangig aus kommerziellen Gründen auf der Differenzierung von Original und Kopie insistiert, ist der Intention dieses Fälschers untergründig verbunden. Das Dilemma, das mit Beltracchis schnöden Wirken angezeigt wird, liegt im - zu oft aus kunstfremden Gründen gefeierten - Kult des Originals, der längst durch die immer bessere Reproduzierbarkeit von Werken in Mitleidenschaft gezogen wurde. Platon hätte auf die diversen Formen der Entauratisierung der Kunst aus guten wie aus schlechten Gründen wohl nur die Kritik übrig gehabt, schon je vor der Kunst gewarnt zu haben.


Goedart Palm

7/06/2015

Zum Wesen der Kunst

Kunst ist es wesentlich dadurch, kein Wesen zu reklamieren und so funktionale Kategorien und gesellschaftliche Zuweisungen unterlaufen und transzendieren zu können. Das mag - terminologisch angreifbar - als Autonomie bezeichnet werden. Bedienen sich Künstler wissenschaftlicher Prozeduren, bestehen diverse Risiken, die künstlerische Rolle zu verlieren. Einerseits kann es zum Rollentausch kommen, wenn der Künstler gesellschaftlich etwa als Natur- oder Sozialwissenschaftler wahrgenommen wird. Andererseits kann privatistische Wissenschaft von Künstlern esoterisch hinter gesellschaftliche Niveaus zurückfallen und den ("hegelianischen") Verdacht begründen, den erreichten Standard des "Weltgeistes" zu verfehlen. Die eigentliche künstlerische Leistung besteht hier zum ehesten darin, erfolgreich die Zuständigkeit der Nichtzuständigkeit zu behaupten, wenn anerkannte Paradigmen oder funktionale Sicherheiten des hehren Wissenschaftsbetriebs tatsächlich irritiert werden. Dabei kann es Künstlern, die die von Paul Feyerabend verkündete These der innigen Verwandtschaft von Kunst und Wissenschaft wirklich begreifen, gelingen, nicht als jene Clowns zu enden, die - wie m.E. nicht wenige - folgenlos beide Welterschließungsweisen zu amalgamieren versuchen.  

Goedart Palm 

Kunst und Kunstkritik

Dass die Kunstkritik keine mehr im alten Sinne sein kann, ist wesentlich dem Umstand zu verdanken, dass die Künstler gelernt haben, die Kritik inzwischen gleich mitzubesorgen. Marcel Duchamps Readymades sind Kritik am Kunstsystem mit der durchaus von ihm einkalkulierten paradoxen Konsequenz, nach kurzer Zeit in dieses System erfolgreich eingebunden zu werden. Die Dadaisten, Futuristen, Surrealisten etc. artikulierten Kritik durch ihre Kunst und erlitten oder erhofften dasselbe Schicksal, in das Pantheon aufgenommen zu werden. Dass die externe Kritik die Kunst verbindlich kategorisiert oder reflektiert, ist eine Idee, die in der Moderne der Avantgarde abhanden kommen musste, weil sich der Kunstbegriff als Allgemein- oder Gattungsbegriff aufgelöst hat. Wenn Stile, Werke, Kontexte etc. nicht mehr "kommensurabel" sind, riskieren kritische oder gar normative Kunstdiskurse, unter Sinnlosigkeitsverdacht gestellt zu werden.   

Goedart Palm

Autonomie und Auftragskunst

Totale Autonomie war immer eine Fiktion! Es gibt aber höchst unterschiedliche Verkoppelungen von Kunst und Kommerz, die daraufhin zu befragen wären, ob Künstler längst keine Kunst mehr machen (wollen), sondern zynische Verkäufer des Markenzeichens "Kunst" für Werke sind, die vorrangig kommerziellen Zielen dienen. Dem stehen Künstler entgegen, die ihre Kunst trotz aller äußeren und inneren Zwänge in relativer Autonomie verfolgen. Ob nun mittelalterliche Auftragskünstler oder moderne Künstler mit Geschäftssinn betrachtet werden, ändert wenig daran, dass die Autonomie immer darin bestand, sich die eigenen Formansprüche nicht abkaufen zu lassen, ohne deshalb ökonomisch erfolglos sein zu müssen. Das ist freilich für jene schwer zu verkraften, die ihre Ressentiments gegenüber fremdem Erfolg anders nicht zu erklären vermögen als in dem Glauben, dass nur der Pakt mit dem Teufel dafür ursächlich sein kann. Was Philosophen als Einsicht in die Notwendigkeit bezeichnet haben, könnte für Künstler bedeuten, subversiv mit fremder Vereinnahmung und gesellschaftlichen Widerständen umzugehen. Vorgebliche Freiheitsverluste bis hin zur Zensur könnten so zu Anlässen werden, die eigene gesellschaftliche Rolle genauer und spannungsreicher zu definieren, als es der wenig sagende Blankettbegriff "Freiheit" vermag. 

Goedart Palm

Avantgard und Geld

Die Avantgarde ging auch nach Brot, dabei in verschiedenen Fällen - ob nun zu Recht oder Unrecht - betonend, man ließe sich nicht korrumpieren. Überliefert ist der Spruch Salvador Dalis, der sich gleichwohl für integer hielt: "Meine Habgier ist beträchtlich". André Bretons Anagramm für ihn lautete: "Avida Dollars". Andere waren weniger explizit in ihrem Erwerbsstreben, aber fanden auch ihre Mäzene, Förderer, Käufer etc.

Goedart Palm 

6/17/2015

Festspielhaus - Aus

Einer Bonner Festspielkultur standen keine Visionäre zur Seite respektive gingen ihr voraus. Naiv rezipierte Klassik interessiert nur noch Eliten, die längst schon keine mehr sind. 

Goedart Palm 

Warum Formen in der Kunst entstehen

Der Mensch, der in den Formen untergeht resp. lernen muss, mit ihnen umzugehen, war seinerzeit ein großes, geradezu "triadisches" Thema...von hier aus lässt sich auch der Kubismus besser verstehen.

Goedart Palm

Docklands Robots

In den Docklands von London fährt man sehr angenehm mit dem "automated light metro system" ohne "Führer" und Schaffner, allerdings sind das eben Arbeitsplätze, die wegbrechen, wie noch unzählige verschwinden werden. Ein Mini-Schwätzchen an der Aldi-Kasse ist dann nur noch mit dem virtuellen Kassierer mit eingebautem Submodul "Humor" möglich, bestimmt auch schön..

Goedart Palm

Seismografische Anmerkung

Dass Künstler besondere seherische Fähigkeiten in politischen Angelegenheiten haben, ist kunstgeschichtlich betrachtet nicht zu bestätigen. Das schließt nicht aus, dass einige KünstlerInnen politischen Verstand haben und Werke - selten genug - später als Prophezeiungen angesehen werden. Ludwig Meidners apokalyptische Landschaften von 1912/13 mag man - cum grano salis - als Vorahnungen der verwüsteten Schlachtfelder des 1. Weltkriegs sehen. Die Strategie bestimmter Ausstellungsmacher, nun ein semantisch grandioses Überthema ausgestellten Werken aufzupfropfen, ist zwar aufmerksamkeitstechnisch nachvollziehbar, aber gleichwohl unredlich. Da lobe ich mir Provinzausstellungen mit dem Thema "Querschnitte". Da weiß man, dass der Besuch eines künstlerischen Kramladens nun mal der Eindruck ist, der entsteht, wenn viele individuelle Ansätze unter ein Dach gezwängt werden...

Goedart Palm

Recht und Macht

Recht ist von Macht- und Verfahrensfragen nie zu trennen.  Recht hat in einem Rechtsstaat der, dem es in einem demokratisch festgelegten Verfahren zuerkannt wird. Zu sagen, man habe gleichwohl Recht jenseits dieser Prozeduren ist eine müßige Feststellung. In Streiks werden reale gesellschaftliche Machtpositionen in Einigungsprozesse eingebracht, die den Ursprung des (demokratischen) Rechts als mehr oder weniger geglückte Austarierung von Interessen deutlich werden lassen. Recht und Macht liegen hier so dicht beieinander, dass kontroverse Grundüberzeugungen der Parteien eher nur in einem Erschöpfungsprozess relativiert werden. In Zeiten härterer Verteilungskämpfe kann dieser Prozess zu einer Offenbarungserklärung des Systems werden, dass gesellschaftliche Verhältnisse ihren Grundkonsens verloren haben.  Das kann so heilsam sein wie riskant, dass Gesellschaften den Glauben an den "Leviathan" aufgeben, der erst dann wiederkehrt, wenn die meisten begreifen, dass dieses Modell langfristig nur Verlierer kennt. Vor einigen Jahrhunderten war dieses Wissen noch geläufiger...

Goedart Palm

Zum Wesen des Wesenlosen

Kunst ist es wesentlich dadurch, kein Wesen zu reklamieren und so funktionale Kategorien und gesellschaftliche Zuweisungen unterlaufen und transzendieren zu können. Das mag - terminologisch angreifbar - als Autonomie bezeichnet werden. Bedienen sich Künstler wissenschaftlicher Prozeduren, bestehen diverse Risiken, die künstlerische Rolle zu verlieren. Einerseits kann es zum Rollentausch kommen, wenn der Künstler gesellschaftlich etwa als Natur- oder Sozialwissenschaftler wahrgenommen wird. Andererseits kann privatistische Wissenschaft von Künstlern esoterisch hinter gesellschaftliche Niveaus zurückfallen und den ("hegelianischen") Verdacht begründen, den erreichten Standard des "Weltgeistes" zu verfehlen. Die eigentliche künstlerische Leistung besteht hier zum ehesten darin, erfolgreich die Zuständigkeit der Nichtzuständigkeit zu behaupten, wenn anerkannte Paradigmen oder funktionale Sicherheiten des hehren Wissenschaftsbetriebs tatsächlich irritiert werden. Dabei kann es Künstlern, die die von Paul Feyerabend verkündete These der innigen Verwandtschaft von Kunst und Wissenschaft wirklich begreifen, gelingen, nicht als jene Clowns zu enden, die - wie m.E. nicht wenige - folgenlos beide Welterschließungsweisen zu amalgamieren versuchen.

Goedart Palm

Zum zweiten Tod von Winnetou

Vor Zeiten ritt Winnetou aka Pierre Brice in ein Apachenzeltlager ein. Die freudig gestimmten Statisten (wohl aus dem vormaligen Jugoslawien), die nicht umfassend "gebrieft" worden waren, begrüßten ihn: "Uff, uff, Winnie Puuh, Winnie Puuh..." Brice soll das weniger lustig gefunden haben, da seine Rollenidentität sehr weit ging. RIP

Goedart Palm

Bücherregale

Unbeaufsichtigte Bücherregale neigen zu promiskuitiven Exzessen!

Goedart Palm

5/16/2015

Die Formen des Kubismus

Der Kubismus fügt sich in ein Formproblem jener Jahre, das weit über künstlerische Dimension hinausgeht. Die Industrieform, die Geometrisierung der Körper, der Kampf gegen Standardisierungen, das Prokrustes-Bett der Norm werden zu dräuenden Angelegenheiten des Menschen, der sich um seine vormaligen, vorgeblich natürlichen Bezüge gebracht sieht. Im expressionistischen Film oder den triadischen Ballette und zahllosen Reaktionen auf die techno-fabrizierte Gegenwart werden Formkämpfe sichtbar. Im Kubismus wird die "menschliche Linie" durch orthogonale und diagonale Vektoren ersetzt. Das, was vordergründig als Surrogat auftritt, trägt das Signum der Zerstörung. Aufbau und Demontage folgen nicht dem "dual use", sie werden zu einer Form. 

Goedart Palm

Seher

Dass Künstler besondere seherische Fähigkeiten in politischen Angelegenheiten haben, ist kunstgeschichtlich betrachtet nicht zu bestätigen. Das schließt nicht aus, dass einige KünstlerInnen politischen Verstand haben und Werke - selten genug - später als Prophezeiungen angesehen werden. Ludwig Meidners apokalyptische Landschaften von 1912/13 mag man - cum grano salis - als Vorahnungen der verwüsteten Schlachtfelder des 1. Weltkriegs sehen. Die Strategie bestimmter Ausstellungsmacher, nun ein semantisch grandioses Überthema ausgestellten Werken aufzupfropfen, ist zwar aufmerksamkeitstechnisch nachvollziehbar, aber gleichwohl unredlich. Da lobe ich mir Provinzausstellungen mit dem Thema "Querschnitte". Da weiß man, dass der Besuch eines künstlerischen Kramladens nun mal der Eindruck ist, der entsteht, wenn viele individuelle Ansätze unter ein Dach gezwängt werden...

Goedart Palm

Zwischen Inszenierung und Authentizität

Allerdings hat die Kunst oder - genauer gesagt - der Betrieb immer das moderate Paradox gepflegt, zwar Akzeptanz mit vielen Mitteln zu suchen, andererseits aber betont, dass gering(st)er Zuspruch nichts über die Qualität der verhandelten Kunst sagen könne. Den Ruhm zu verachten und gleichzeitig sein Leben daran zu setzen, wie es Gustave Flaubert mal formulierte, ist eine dem verwandte Kondition, um das höchst ambivalente Verhältnis von Künstlern zu Publikum zu beschreiben.


Es gibt keine einsinnige Formel, um "Künstlerseelen" und ihre (öffentliche) Artikulation über Kunst letztgültig zu beschreiben. So mag gelten: "Das Schweigen von Marcel Duchamp wird überbewertet."(Joseph Beuys) Andererseits ist schon der Rangstreit der Künste paradigmatisch für die Grenzen der Übersetzbarkeit. Psychoanalytisch beschreibbar wäre dagegen der künstlerische Narzissmus, der seine Sprachlosigkeit vor der Erhabenheit des Kunstwerks inszeniert, um das Publikum in Bann zu schlagen. Diese Pose ist andererseits kaum je vom kreativen Selbstschutz zu unterscheiden, eigene Arbeiten nicht "kaputt" zu reden und in griffigen Phrasen für´s Publikum bekömmlich zu machen. So soll sich Gustav Mahler zunächst vehement gegen Sigmund Freuds Interpretationslüste gewehrt haben, um seine Kreativität nicht zu riskieren. Wer erfährt, dass seine Sinfonie dem Vatermord geschuldet ist, bleibt vielleicht für immer unvollendet...

Goedart Palm

5/01/2015

Wirklichkeitsrequiem - Baudrillard

Wirklichkeitsrequiem

Die alten Leiden der neuen Theorie. Am 20. Juli 2009 wäre Jean Baudrillard achtzig Jahre alt geworden.

Von Goedart Palm 



Die Wüste ist der signifikante Topos der späten, nicht enden wollenden Moderne. Postmoderne ist nichts anderes als Wüstenverwaltungspolitik von philosophischen Administratoren, die sich alter Kategorien erinnern, die aber keinen Sinn mehr machen. Friedrich Nietzsche leitet diesen brisanten Ort als eine hypertrophe Form ein, die bedrohlich das Aids der Sinnlosigkeit im Subjekt wuchern lässt. Bei Jean Baudrillard avancierte die Wüste zum Wunschziel des philosophisch erzwungenen Abschieds von der Wirklichkeit: »In der Wüste muss ich die Einsamkeit nicht erst suchen, ich bin Teil davon. Ich bin auch nicht mit mir selbst allein, das wäre wieder die romantische, westliche Form der Einsamkeit. Nein, die Wüste ist für mich die klarste, schönste, hellste, stärkste Form der Abwesenheit.«[1] Strahlte vorher die Wahrheit, schien das Licht der Aufklärung und glänzten viele Sonnen der Erkenntnis, wird die Wüste nun zum Ort der Abwesenheit von den urbanen und medialen Exzessen unserer seinsvergessenen Alltagswirklichkeit. Doch es kommt noch schlimmer: »Später habe ich den Traum auf Städte übertragen, denn manchmal kann sich auch im urbanen Raum diese losgelöste Art des Reisens einstellen. Große Städte wie New York empfinde ich auch wie Wüsten, vertikale Wüsten. Sie mögen extrem dicht und bevölkert sein, aber dahinter verspüre ich die Leere dieser Urszene.« Hier spricht ein vormals kämpferischer Intellektueller, dessen tiefes Misstrauen gegen die einst so mächtigen Potentiale der Theorie keine Konstruktion der»condition humaine« mehr zulässt. Baudrillards Wüste ist letztlich der von Nietzsche beschriebenen nahverwandt, also als ein (Nicht)Ort, der wächst und schließlich als fragile Daseinsverfassung des entwurzelten Daseins übrig bleibt. »Die Welt ohne das eigene Ich, das könnte auch die Welt ohne die menschliche Spezies sein. Die Welt, bevor die Menschen sie betreten haben. Oder nachdem sie wieder von ihr verschwunden sind. In meiner Fantasie steht die Wüste für diese Vorahnung eines Planeten, der nicht mehr von Menschen bewohnt wird.«[2] Der Tuaregführer Mano Dayak sieht das völlig anders: »Jedes Mal, wenn ich der Wüste gegenüberstehe, führt sie mich auf die erregende Reise in mein eigenes Ich, in dem wehmütige Erinnerungen, Befürchtungen und Hoffnungen des Lebens miteinander streiten. Wer in der Wüste überleben will, muss sie verstehen, ihr zuhören. Denn sie wird immer stärker sein als der Mensch. Man muss, um hier zu leben, ebensoviel Bescheidenheit wie Mut aufbringen. Für Menschen, die nicht in ihr gelebt haben, erscheint sie wie ein großer leerer Raum, während sie für uns unendlich lebendig ist. Wie diese Liebe erklären, die wir unserer so ausgedörrten und schwierigen Umwelt entgegenbringen?«[3]

Aber vielleicht erfahren wir hier gar nicht die vordergründige Antinomie eines weltflüchtigen Ichs gegenüber der lebendigen Erfahrung des Wüstensohns, wenn wir Hugo Balls archimedischem Hinweis folgen: »Wenn in der inneren und äußeren Welt nichts mehr sicher ist, bleibt nur die Wüste.«[4] Bleibt uns in der »mentale(n) Diaspora der Netze« nur noch die Wüste als paradoxe Mega-Oase? Jean Baudrillard beschreibt die Verflüchtigung des Menschen als einen Prozess, der nicht mehr dem Topos der aufhebbaren Verdinglichung des Menschen folgt: »Im 19. Jahrhundert war immer die Differenzierung des Subjektes um so höher, je tiefer es durch die Maschine, durch die Technik usw. entfremdet war. Je tiefer die Technik greift, desto tiefer ist die Empfindung des Selbsts des Subjektes als Entfremdetes. Aber jetzt mit der Informationstechnologie, mit den elektronischen Maschinen usw. wird das Subjekt aufgesaugt. Es wird verflüchtigt, hinein in den Prozess selbst. Früher war es verfremdet durch die materielle Alienation, aber jetzt wird es durch sein Gehirn, in seinem Gehirn aufgesaugt, und die Grenze zwischen dem Menschlichen und dem Unmenschlichen verschwindet. Das ist, meine ich, das Wesentliche, diese Aufhebung der Grenze zwischen menschlich und unmenschlich.«[5]Richard Münch trifft also in seiner soziologischen Aufklärung nicht die ganze Radikalität des Ansatzes, wenn er Baudrillards Theorie der Medien-Hyperrealität nur als »aktuelle Version von Marx´ Entfremdungstheorie« deutet. Karl Kraus hat diese Destruktionsdialektik Baudrillards ante litteram auf den besseren Endreim gebracht: »Das ist das wahre Wunder der Technik, dass sie das, wofür sie entschädigt, auch ehrlich kaputt macht«. Maßgeblich verantwortlich für diese Diffusion und Destruktion ehedem eherner Konstruktionsbedingungen menschlicher Welterfahrung sind die Medien. Die fundamentale Unterscheidung von technischem »Code« als medientypischer Kommunikationsform gegenüber dialogischer »Reziprozität« als dem Gespräch von Menschen in Rede und Gegenrede folgt einem platonischen Modell, das trotz der vielfach beschworenen »Intelligenz des Bösen« hartnäckig wider alle Strategien der perfiden Medienherrschaft nachgerüstet wird. »Denn Vergessenheit wird dieses in den Seelen derer, die es kennenlernen, herbeiführen durch Vernachlässigung des Erinnerns, sofern sie nun im Vertrauen auf die Schrift von außen her mittelst fremder Zeichen, nicht von innen her aus sich selbst, das Erinnern schöpfen.« (Platon, Phaidros).
Massenmedien, Telefon und Internet finden im Aufstand ihrer unendlichen Zeichen gleichermaßen keine Erhörung des Medientheoretikers. 

Jean Baudrillard gerierte sich in diesem Verdikt gegen die Zerstörung echter menschlicher Direktkommunikation von Rede und Gegenrede päpstlicher als die Diskurstheoretiker, deren Geltungsansprüche auch an der Eigensinnigkeit der Medien abprallen. Das technische Medium destruiere die echte menschliche Kommunikation. Eine typische Denkbewegung Baudrillards gegen diese Zerstörung lautet, die Medien selbst zu zerstören, was als marxistisches Theorierelikt eines Antimarxisten gelten kann – denn, wie er in einem frühen Text konstatiert: Wenn das Mietshaus brennt, reden die Nachbarn wieder miteinander. Sind wir nicht längst über dieses romantische Desiderat einer Kommunikation unter Anwesenden hinaus gekommen, die so kontingenten Umständen folgt und sich in Gesprächen über Brandversicherungen erschöpft? Nein, die mediale Verschaltung zu binären Supermonstern einer entfesselten »Kommunikations«-Wirklichkeit mache diese Situation noch schlimmer, da – verkürzt gesprochen – die Medien selbst die Antworten auf die Fragen präsentieren, den »response« auf den »stimulus« gleich mitliefern. Der Mangel dieser Theorie ist die Ausschließlichkeit der Beobachtung massenmedialer Effekte. Baudrillard verwandelt seine Analyse selbst dem medialen »Code« an, der im eigenen Selbstgespräch die Antworten gibt, ohne die heterogenen Verwendungsweisen von Medien noch länger differenzieren zu wollen. Immerhin ist sein Authentizitätsverdikt gegen die Medien moderierend aufzunehmen, als die expandierende Informationsfülle, der wir stärker als in den vormaligen Zeiten des»Broadcasting«-Imperiums ausgesetzt sind, in der Tat paradoxe Wirkungen zeitigt:
Information wird an Gegeninformation, Meinung an Meinung gebrochen, ohne dass dieser Widerstreit eine positive Dialektik oder gar einen Konsens eröffnet. Wir erleben eine Dissensgesellschaft, die oft erst dann handelt, wenn die Katastrophe eingetreten ist.

Medien fördern den wuchernden Hintergrundglauben, dass alles gleich-gültig ist. 
»Aktualität« prägt die Ordnung von Nachrichten und Diskursen nicht nach Kriterien gesellschaftlicher Relevanz, sondern nach Aufmerksamkeit. Das Beharrungsvermögen des Subjekts gegen seine mediale Verflüchtigung ist geeignet, einen medialen Autismus zu begründen, was nicht nur dem Mythos kommunikativer Globalität zuwiderläuft, sondern auch pathologische Lebensweisen begünstigt. So ist etwa die Kommunikationslust per E-Mail und die vormals zweckfreie Netzbewegung als frühes Datendandytum stark gegenüber rein funktionalen Verwendungen des Medienkonglomerats »Internet« zurückgetreten. Hier können wir Jean Baudrillards Beobachtungen aufnehmen, während andere »Wahrnehmungen« des Theoretikers sich längst als ungenau oder gar falsch erwiesen haben: Seine digitale Bildtheorie, die einen breiten Raum im Werk einnimmt, reklamiert die ex-nihilo Konstruktion der digitalen Bilder. Ein referentielles Bild mit Negativ folge alten Konditionen, während das digitale Bild das Wahrheits-Schema von Ding und Abbildung auflösen würde. Seine letzten Ausführungen zum Exkurs über die Photografie gelten ihm sogar als »Mikromodell einer verallgemeinerten Analyse der Hegemonie«, des Zustand einer vorstellungslosen, alle Möglichkeiten ausreizenden Technik. Dass nun die Referenz der Bilder zur »Wirklichkeit«, dem gleichermaßen fetischistischen wie paradoxen Objekt dieses Denkers schlechthin, aufgelöst wird, ist schon im Blick auf die vordigitale Bildgeschichte unrichtig. Künstler schufen fortwährend referenzlose imaginäre Bilder: Wie anders entstanden Madonnen, Einhörner oder die unzähligen ornamentalen und freien Bildentwürfe ohne jede konkrete Provenienz in der »Wirklichkeit«? Digitale Bilder, so wie sie das Internet inzwischen unendlich überfluten, sind größtenteils referentielle Objekte, deren binäre Transformierbarkeit wenig am Objektglauben des Abgebildeten verändert. Nota bene: Man kann Bilder für inakzeptable Verflachungen des menschlichen Wahrnehmungskosmos halten, doch hier unterliegt Baudrillard in fataler Weise denselben Beobachtungsschwächen, die schon ältere Medientheorien obsolet gemacht haben. Denn die abstrahierten Momente, die Reduktion sinnlicher Eindrücke und die Vervielfachung der phänomenologischen Betrachtung – etwa wenn wir um einen Gegenstand herumgehen und ihn »begreifen«– erschließen sich der Analyse, sodass sich daraus nicht Täuschungen ergeben müssen. Gerade hier wäre der Theoretiker als (Medien)Phänomenologe gefragt, der erkennt, dass Wahrnehmungsmomente bei jeder Abbildung hinzugerechnet werden müssen und der gegen die Negation der Wirklichkeit sein (analytisches) Wissen und den sinnlichen Mehrwert der ihm bekannten Dinge addiert. Und weiter: Die Reduktivität der medialen Verfassung ist – wie immer – ein temporärer Zustand der Konstitution von Bildern und nicht weniger der symbolischen Verfassung von Wirklichkeitsbeobachtungen. Die magischen Kanäle verleiteten Jean Baudrillard dazu, Karl Marx auch in seiner semiotischen Neueinkleidung zu verlassen und insoweit Marshall McLuhan zu folgen. Die Abkehr vom klassischen Marxismus ist zwar plausibel, weil in dessen Fixierung auf Arbeit, Produktion und Wertschöpfung die Bedeutung medialer Veranstaltungen für die Verfassung der Gesellschaft ausgeblendet werden. 

Doch die mediale Magie könnte weiter reichen, als es irgendeine Theorie zulässt, die vornehmlich um die Behauptung menschlicher Wahrnehmungshoheit gegenüber dem allgegenwärtigen Spektakel kämpft. Das Internet produziert einsinnige reduktive Bildwelten, doch deren Medialität steht in einem unabsehbaren Kontext von Gegen- und Alternativwelten - ohne den propagandistischen Effekt zu erzwingen, dass nur manipulierte und konfektionierte Wahrheiten eine Chance auf Erhörung hätten. Menschen prozessieren Medien über die starren Grenzen ihrer jeweiligen Konstitution hinaus. Kein Bild ohne Kontext, keine Wahrheit oder Lüge ohne ihren Gegenpol. Unser Wissen erschöpft sich eben nicht in dessen »Wikipediatisierung« (Peter von Brinkemper), sondern greift immer weiter aus und erweitert die medial-menschlichen Rekonstruktionen in zahlreichen Äußerungsformen, die mit dem unsauberen Verhältnis von kanonischen und apokryphen Wahrheiten zu leben lernen. Nebenbei bemerkt fällt diesem Medienprozess auch ein großer Teil der gegenwärtigen Medientheorie zum Opfer, etwa jener, die das Fernsehen gegen das Internet ausspielt und hier präsentisch-authentische und dort computergenerierte-technische Darstellungen zu erkennen glaubt. »Youtube« und andere haben den medialen Unterschied zwischen den Einzelmedien bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Das Fernsehen ist längst tot, ohne es zu wissen. Jean Baudrillard hatte gestanden, nur einen oberflächlichen Zugang zum Mediumverbund »Internet« zu haben, was ihn als Theoretiker einer Zeit ausweist, die vom Paradigma der Massenmedien klassischen Zuschnitts ausging, um zuvörderst zu ergänzen, dass binäre Welten »unnatürlich“ konstruiert seien. Die binäre Konstruktion hat für spätklassische Medientheoretiker wie Jean Baudrillard eine eigentümliche Faszination, die sich nicht durch die nichtbinären Erscheinungen binären »Seins“ irritieren lassen wollte. Auch insoweit wird kräftig an der immer länger werdenden Fußnote zum Platonismus (Whitehead) weiter geschrieben, was nichts anderes heißt, als das Wesen der Dinge mit der vorgeblich natürlichen Wesenhaftigkeit ihrer Konstruktion gleichsetzen zu wollen. Schlechte Zeiten für Künstler und Programmierer. Es herrscht in diesen Ansätzen das älteste Dilemma des Idealismus, es gäbe einen wahren Weg der Weltkonstruktion, der in allen Entfernungen zur ursprünglichen Natur, vor allem in der unmenschlichen Herrschaft bloßer Berechnung verraten würde. Lässt sich aus dieser ältesten Differenz noch etwas lernen für die Frage, was eine gewitztere Theorie diesseits der Medien leisten könnte? »Simulation«, das transgressive Zauberwort Baudrillards, meint nichts anderes als die Austauschbarkeit aller großen Unterscheidungen bzw. binärer Codierungen wie »Wahrheit/Unwahrheit«, Schönheit/Hässlichkeit, linke/rechte Politik, ja sogar Natur/Kultur – wobei nicht immer eindeutig ist, ob hier nur die Differenzverluste auf der Ebene der Zeichen gemeint sind oder weitergehend die Auflösung des menschlichen Unterscheidungsvermögens überhaupt betroffen ist. »All unsere Werte sind nur Simulationen. Was bedeutet Freiheit? Dass wir die Wahl haben, das eine Auto zu kaufen oder das andere. Das ist eine Schein-Freiheit.«[6] Diese nicht gerade originelle Behauptung, die zum Altbestand der klassischen Kritik konsumistischer Gesellschaften gehört, die nur noch eine pseudodemokratische Herrschaftsfunktion zulassen, kapituliert vor der Komplexität der Verhältnisse, die einen einfachen Freiheitsgestus, eine ein- und eigensinnige Revolte, ein fröhliches »Phantasie an die Macht« heute noch leichter abfedern als bereits 1968. Das Problem, das in der Homogenisierungsmaschine dieser Theorie verschwindet ist, ist das hybride Nebeneinander von Werten und Wertdemontagen, die Provokation eines theorieresistentem »Realen«, das sich gegen elegante Theorien sperrt.

Jean Baudrillard erscheint uns retrospektiv als der genuine Mediendandy, immer plakativ und so telepräsent wie einprägsam in seinen Macht- und Schlagwörtern gegen die»Wüste des Realen«: Das Reale ist die Welt der Wahrnehmung durch den Menschen. Der Schein ist die Welt, wie sie ist. Im »Hyperrealen« löst sich die Welt von der Wahrnehmung des Menschen. Der Mensch wird in Zeiten der Virtualität nicht mehr als Vermittler zwischen den Dingen und ihren Zeichen benötigt. Die Welt emanzipiert sich von ihrem bislang genialsten Prozessor. »Warum ist nicht alles schon verschwunden« heißt im Klartext, dass die Kategorien in ihrer Bedeutung verblassen, aber der Denker keine Erklärung für die Wirklichkeit mehr besitzt und das Unternehmen einstellt. Dieser letzte Text Baudrillards fasst seine Theorie noch einmal zusammen und ist vorzüglich geeignet, die Grundmotive seines Denkens im Holzschnitt kennen zu lernen.

Was nicht nur dieser Theorie abhanden kommt, ist die Verschlagenheit der Wirklichkeit, die eben nicht einfach in plane Virtualität übergeht, so wenig alte Werteordnungen konservierbar oder in fatale Strategien überführbar sind. Wir erleben weiterhin eine »Unübersichtlichkeit« der Verhältnisse, die der Theorie und ihren Mitteln spottet und auch auf die List der Vernunft nicht mehr baut - was sich unter anderem im wachsenden Neben- und Miteinander heterogener Weltentwürfe niederschlägt. Jean Baudrillard war enttäuscht von der ehedem großmächtigen Theorie, die eben den Schritt mit der Wirklichkeit nicht mehr halten konnte, was nur in einem überheblichen Theorieglauben selbst zur Signatur der Wirklichkeit wird. Das Problem ist nicht der Sog der »Simulation«, die jede Wirklichkeit erfasst, sondern das paradoxe Wechselspiel von Wahrheiten und Manipulationen, die auf keine oberste Rechtsprechungsinstanz wie die kantische Vernunft oder den herrschaftsfreien Diskurs vertrauen können. Gerade die neokonservative Realpolitik hat die Werte, auf die sich Bush und die Seinen beriefen, gegen diese selbst mobilisiert, was immerhin - wider Baudrillard gesprochen - für moralisch leidlich intakte Reaktionen spricht – so wenig Obamas »Yes, we can« schon zureichende (Er)Lösungen parat halten würde. So sind diese trägen bis unberechenbaren Öffentlichkeiten respektive Gegenöffentlichkeiten längst nicht sensibel genug, Manipulationen so frühzeitig zu erkennen, dass Opfer vermieden werden. Das Wechselspiel zwischen Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit hat sich aber auch nicht in der digitalen Planierung der Wahrheit erledigt, wie es das »Wirklichkeitsrequiem« Baudrillards behauptet. Die Konditionen sind andere, die vermutlich nicht erst in der Theorie formalisiert werden können, wie es das narzisstische Welterschließungsmodell von Denkern mancher »couleur« verlangt. Baudrillard erscheint uns in diesem Theorie-Spiel als die illustre Figur einer verblassenden Epoche der allmächtigen Kritik, die auf die Transparenz und Transzendenz der Verhältnisse zielte und dabei selbst so transparent und unwirklich in ihrer Erkenntnisungeduld wurde – bis sie sich auf den Gespenster-Status zurückzog, der nicht mehr so fröhlich-ironisch wie weiland im »Kommunistischen Manifest« formuliert werden kann.  Dieser Diskurs des Verschwindens riskiert nolens volens seine eigene Auflösung, weil die Begriffe, die er weiterführt, mächtige Widerstände gegen virtuelle Konstruktionen begründen. Auch Cyberleiber können schön oder hässlich in einem klassischen Sinne wahrgenommen werden, so wie die Begriffe einer fragilen Wahrheit oder schwachen Theorie (»pensiero debole«) nicht desavouiert werden, wenn Platons Sonne nicht mehr im Zenith steht. Zentral und fatal wurde für Baudrillard das von Friedrich Nietzsche aufgeworfene Problem, wie der Schein das Sein ist, wenn doch zugleich diese Unterscheidung in den transzendentalen Bedingungen des Erkennens unhintergehbar angelegt erscheint. Die ehernen Unterscheidungen lösen sich im »Hyperraum« auf, doch die  Abwesenheit alter Sicherheiten wie Gott, Sein, Vernunft macht die Verhältnisse ungemütlich. Jean Baudrillard kämpfte wie weiland Don Quichotte gegen die Riesen, die man heimlich lieben muss, wenn sie nicht aufhören sollen zu existieren. Oft wird übersehen, dass dieser kapriziös auftretende Ansatz nur aus dem humanen Impetus dieses Philosophen erklärbar ist. 

Der Druck dieses Denkens liegt darin, dass die alten Spannungen solches Denken erst möglich gemacht haben. Baudrillard erkannte allerdings, dass diese alten Sicherheiten selbst immer nur Illusionen waren, so mächtig sie sich auch in den philosophischen Diskurs einschrieben. »Zwar gibt es im Innern dieser Welt durchaus ein Erkenntnis- und Denksystem, das so etwas wie Wahrheits- und Wirklichkeitseffekte produziert. Aber ich finde es wichtig, dass die Philosophie diese radikale Unsicherheit und Illusion immer im Hinterkopf hat. Man muss sich vor der Wahrheit hüten.«[7]  Die Welt Baudrillards hat ihre Erdungen und archimedischen Sicherheiten verloren: »Wenn ich von der Zeit spreche, dann deshalb, weil sie noch nicht ist. Wenn ich von einem Ort spreche, dann deshalb, weil er verschwunden ist. Wenn ich von einem Menschen spreche, dann deshalb, weil er schon tot ist.«[8] Baudrillard bewegt sich damit auf dem gefährlichen Boden, dass die Wirklichkeit unwirklich und der Mensch tot ist und doch die Bühne wieder aufgezogen werden muss, um nun die Totgeglaubten wieder zu sehen – und vielleicht zu retten. Er spielte mit der Welt der alten Unterscheidungen wie ein Kind, das das Feuer sucht, weil Angst und Lust ununterscheidbar werden. Sein elegischer Spätdiskurs ist einer der in der Beobachtung des Verschwindens der menschlich wahrgenommenen und interpretierten Welt auch selbst verschwindet. Die Begriffe wurden auf ihre Spitze und darüber hinaus getrieben, wo sie ihren Gehalt und ihre Anschlussfähigkeit einbüßten – was auch der relativen Isolierung Jean Baudrillards im Wissenschaftsbetrieb entsprach. Der Schauspieler, der er auch war, räumt die Begriffsrequisiten nach der Vorstellung weg, die wir vormals für real gehalten haben. Es bleibt eine leere Bühne, was – nebenbei bemerkt –Baudrillards Nähe zu diversen Denkern und Künstlern der französischen Mentalitätsgeschichte nach dem Krieg demonstriert. Energietechnisch und wohl auch biografisch ähnelt diese Theorie einer Supernova, der Stern wird immer heller und reißt sich selbst in den Tod. Mit einem solchen Impetus des »ens realissimum«, um nicht von Wirklichkeitswut zu sprechen, wird jede Theorie selbstwidersprüchlich, weil sie den Gegenstand ihrer Betrachtung, den sie vernichtet, schließlich doch wieder fingieren muss. Baudrillard hat das auch explizit eingeräumt, ja sogar eine Theorie-Volte daraus gemacht, die freilich das Wesen der Theorie als Anschauung destruiert: »Die Theorie muss ihrem eigenen Schicksal selbst vorgreifen. Denn sie muss für jeden Gedanken unwägbare künftige Zeiten in Betracht ziehen. In jedem Fall ist sie der Verdrehung, der Irreführung und der Manipulation geweiht. Es ist also besser, wenn sie sich selbst verdreht (se détourner elle-même), wenn sie sich von sich selbst abwendet (se détourner d’ellemême).«[9] Eine Theorie, die so überlegen auf der Bühne des Denkens agieren will, kann sich letztlich nicht behaupten, weil sie die zwingenden Konditionen ihrer eigenen Zeitlichkeit in Abrede stellen will. Gott (oder Leibniz) mag eine solche Supertheorie prästabilierten Wissens vorbehalten sein, andere Theoretiker geraten in einen unendlichen Rückgriff der Wahrheit, deren vorläufige Ergebnisse immer wieder zurückgenommen werden müssen – weil der blinde Fleck der Beobachtung nicht durch puren Willen aufgelöst werden kann. Das ist wahrlich eine fatale Strategie, weil sich die Theorie im Wege ihres Vollzugs auflöst und selbst das »Requiem« leer wird, weil es nichts mehr zu betrauern gibt. »Wir haben diesen Vorsprung der Ideen vor der Welt verloren, diese Distanz, die bewirkt, dass eine Idee eine Idee bleibt.«[10] Witzig mag erscheinen, dass die nun bankrotte Theorie hier ihrem vormaligen Unwirklichkeitsstatus nachtrauert, den sie gleichzeitig den Medien als genuines Weltverhältnis aberkennen will. Baudrillards Theorieexistenz ist die Geschichte der Selbstentmachtung des Theoretikers, was einerseits die Bedingtheit theoretischer Welterschließung erweisen könnte, andererseits aber auch einen übertriebenen Theoriegestus anzeigt, der sich von »theorein«emanzipieren wollte, um die endgültige Wahrheit der Wirklichkeit als Betriebssystem ohne laufende Nummer vorzuinstallieren. Wir dagegen beklagen weniger die um uns wuchernde »Hyperrealität«, die eher als eine Idiosynkrasie Baudrillards verbucht werden muss, als die Bodenhaftungsverluste nicht nur dieser Theorie, die den instrumentellen Charakter einer provisorischen Wirklichkeitsabstraktion aufgibt, um ihrem eigenem schönen Versprechen einer »Schau des Göttlichen« zu erliegen. 

So träumt Baudrillard in seinem letzten Text von göttlichen »Abziehbildern« wie dem Schweißtuch der Veronika und lobt die antike Kritik an den bloß von Menschenhand gefertigten Ikonen. Der Theoretiker der Verführung erlag selbst der Verführung durch die Theorie – was deutlich macht, dass die Verführung nicht lediglich eine subversive Strategie ist, sondern auch reale Opfer macht. »Und alsbald trieb ihn der Geist in die Wüste; und er war in der Wüste vierzig Tage und wurde versucht von dem Satan und war bei den wilden Tieren, und die Engel dienten ihm.« (Markus-Evangelium 1,12 f.). Als Jean Baudrillard in jene andere, gleichfalls erfolgreiche Erlösergeschichte der »Matrix«eingebunden werden sollte, beschied er die Wachowski-Brüder auf die Unmöglichkeit einer bildschöpfenden Welt des Hyperrealen: »Diese Leute halten die Hypothese des Virtuellen für einen tatsächlichen Zustand und verwandeln sie in ein sichtbares Phantasma. Aber die Besonderheit dieses Universums besteht gerade darin, dass man die Kategorien des Realen nicht mehr benutzen kann, wenn man darüber sprechen will.« Ist der Rest also Schweigen? Nein, auch der scheinbar so zwangsläufige Tod von Theorie und Theoretiker ist eine paradoxe Kondition: »Das Ende selbst ist verschwunden…« So lautet der letzte veröffentlichte Satz Baudrillards. Sollte aber diese Matrix der etwas anderen Art auch den Tod entsorgt haben, was uns ohnehin als der älteste Anlass der Philosophie erscheint, müssen wir mit Jean Baudrillards Wiederauferstehung rechnen. 

Goedart Palm

[1] http://www.egs.edu/faculty/baudrillard/baudrillard-ich-habe-einen-traum.html
[2]  http://www.egs.edu/faculty/baudrillard/baudrillard-ich-habe-einen-traum.html
[3] Zitat aus dem Buch »Geboren mit Sand in den Augen“ des Tuaregführers Mano Dayak unter: http://www.elmida-wuestenreisen.de/philosophie
[4] Hugo Ball, die Flucht aus der Zeit, 1946, S. 277.
[5] »Es gibt nur noch Effekte und gar keine Ursachen mehr" - Der reine Terrorismus - Jean Baudrillard im Gespräch mit Eckhard Hammel, in: Eckhard Hammel; Rudolf Heinz; Jean Baudrillard: Der reine Terror. Gewalt von rechts, Wien 1993, S. 47-58
[6] »Frankreich ist nur ein Land, Amerika ist ein Modell.“
Jean Baudrillard Interview vom 23.11.2005, in: Süddeutsche Zeitung, unter: http://www.sueddeutsche.de/kultur/736/407512/text/
[7] »Man muss sich vor der Wahrheit hüten", taz-Interview vom 22.11.2000   Unter: http://www.taz.de/index.php?id=archivseite&dig=2000/11/22/a0119
[8] Jean Baudrillard, Warum ist nicht alles schon verschwunden, Berlin 2008, S. 5.
[9] Jean Baudrillard, Das Andere selbst, Wien 1987, S. 78.
[10] Jean Baudrillard, Das perfekte Verbrechen, München 1996, S. 157f.
 
 
 

Die Kritik der reinen "Vermumft"

Während ich über die Bedingtheit des Aufklärungsprojekts schreibe, verwende ich - schnell tippend - den Begriff "Vermumft". Das erhellt wie kreativ die Sprache reagiert, wenn man sie nicht durch Rechtschreibprogramme und kritische Gegenlektüren behindert. So erweist sich, wie die Sprache sich selbst gegen ihre rationalistische Vereinnahmung wehrt. Klingt so "vermümftig" wie paradox...     

Goedart Palm

Homogenitätsprinzip

Mir will scheinen, dass der Kunstmarkt Kunst homogenisiert. Vorderhand ist das paradox: Jedes Werk, jeder Künstler, jeder Stil reklamieren Einzigartigkeit, um unterscheidbar zu sein, Das nimmt der Markt dankbar an, ja mehr: anders kann er nicht funktionieren, wenn Distinktion sein Verkaufskriterium ist. In dieser Logik wird dann aber gerade ein abstraktes Apriori-Kunstverständnis begründet, das nicht nach Eigenwerten der Kunst fragen muss, sondern nach marktspezfischen Regeln urteilt.  Das ist wie beim Wochenendeinkauf: Was nicht angeboten wird, ist nicht Teil des Gemüsemarkts und das was angeboten wird, ist gesund. Insofern adelt der Kunstmarkt den Käufer, der sich zwar verspekulieren mag, aber immer mit dem süßen Versprechen einschlafen kann, dass es sich jedenfalls um Kunst handelte.    

Goedart Palm  

4/22/2015

Game of Thrones

Fantasy mit einer höheren Dosis menschlicher Gemeinheit tut dem Genre gut, das nicht nur bei LOR verkitscht daherkommt und das Setting zu oft mit der Handlung verwechselt.


Goedart Palm

4/18/2015

Wie werde ich Individualist?

Extremindividualismus würde letztlich die Atomisierung der Gesellschaft implizieren. Vermutlich muss man verschiedene Formen des Individualismus differenzieren. Deren eine, die "logozentrierte Kragenhochklappvariante" führt geradewegs in das Paradox, dass sie zwar eine (relativ) teuer gekaufte, aber im Blick auf die zugrundeliegende "Persönlichkeit" billig zu haben ist. Es gehörte seinerzeit zum diskreten Charme der Nicht-Bourgeoisie, Billig-Klamotten mit Hochpreisetiketten zu versehen. Es geht auch anders: Ein nicht unbekannter Künstler beauftragte vor Jahrzehnten einen exklusiven Kölner Herrenschneider, ihm einen grauen Mao-Anzug, wie sie zu Millionen in China hergestellt wurden, auf die aber damals noch nicht per "amazon" etc. zuzugreifen gewesen wäre, "individuell" anzufertigen. Das demonstrierte nicht nur auf das Schönste, dass auch der extremste Kollektivismus mit der Mimikry kreativer Individualität rechnen muss. Es zeigt vor allem, dass der Kontext  maßgeblich über die Individualität entscheidet, während der selbstgefällige Individualist sich diese Effekte als eigene Leistung zurechnen mag...  

Goedart Palm

4/14/2015

Quo vadis?

Heute tauschen Schüler nicht nur in Echtzeit per smartphone mit ihren Mitschülern Informationen im Klassenraum aus, während sich der Pädagoge dem Tafelanschrieb widmet. Die Welt der Schüler entfernt sich immer stärker von der Kreidezeitwelt der Lehrer, was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass die Schule sich als exklusive Wissensquelle und vormaliger Mittelpunkt der Peergroups verabschiedet hat. Der Bruch zwischen realen und virtuellen Welten vollzieht sich so schnell, dass die curricularen Angebote mehr denn je hinterherhinken und die Lebenswirklichkeit der Schüler immer stärker durch außerschulische Angebote geprägt wird. Das impliziert aber m.E. keine Nivellierung des Nachwuchses, sondern vor allem die radikale Ausbildung anderer Handlungs- und Wissensformen. Es gibt heute schon Formen von "virtueller Intelligenz", die den alten alphanumerischen Code (Vilém Flusser) nicht mehr als das "Non plus ultra" der kognitiven und sozialen Welterschließung erscheinen lassen. Sicher gab es vordem auch spätägyptische Lehrer, die den Kollaps des Hieroglyphen-Wissens kulturpessimistisch definiert haben, aber jede Zeit wird ihre eigenen Regeln entdecken und am Horizont winkt ohnehin eine völlig entfesselte Informationstechnologie mit neuen Akteuren der Geschichte, die wir gegenwärtig nur als moderaten Vorschein erleben.

Goedart Palm

4/09/2015

Evidence

Insbesondere Susan Sontag und Vilém Flusser haben darauf hingewiesen, dass die jeweiligen "Kanäle" die Codierung von Bildern bestimmen. Schon der Kuleschow-Effekt machte klar, dass der Kontext und seine Semantik über die Wahrnehmung entscheiden. Werden Untertitelung oder Bildlegende verändert, können etwa schmerzvolle Bilder der Anklage für jede Propaganda verwendet werden. Auch wenn der Text also die Bilder scheinbar in eine Interpretation zwingt, so ist doch gerade das Museum der Rahmen für Wahrnehmungsirritationen, die mit der Frage nach der Wahrheit oder dem "richtigen" Kontext spielen. Eine reine Dekontextualisierung von Bildern ist allenfalls für eine ästhetische Sekunde denkbar, weil jeder Wahrnehmende sein eigenes Narrativ - mit oder ohne fremde Legende - bildet. Wenn der Mensch etwas nicht aushält, dann ist es das Unerklärliche. Die Art und Weise, wie ein Betrachter diesen "horror vacui" ausfüllt, sagt regelmäßig mehr über ihn als über die Bilder aus. In der "Kunstwelt" (Arthur C. Danto) wird ein "Bild" dann zur Summe seiner Theorien.

Goedart Palm

Blumenbeete und kein Ende

Kursorisch festgestellt gilt für Kunst nach dem Wegfall von Epochenbegriffen und später "Ismen" aller Art, dass die immer weiter getriebene Subjektivität des jeweiligen Schöpfers das "Allgemeine" in der Kunst stark relativiert. Künstler müssen im Verkaufssinne wiedererkennbar sein. Das fördert die Ausbildung von stilistischen Momenten, die eben weniger aus künstlerischer Notwendigkeit als aus Marktinteressen heraus entstehen. Vereinfacht gesprochen ist Kunst dann nicht mehr wie in jenen zurückliegenden Epochen Ausdruck ihrer Zeit, sondern Ausdruck der idiosynkratisch hochgejazzten Künstlerseele. Eine Unterscheidbarkeit, die immer stärker um ihrer selbst willen forciert wird, vermag aber immer weniger den Betrachter zu fesseln, für den Kunst mehr ist als eine disparate Landschaft aus zahllosen schmucken, aber letztlich belanglosen "Blumenbeeten".

Goedart Palm

Katastrophen

Diese Gesellschaft nimmt Katastrophen in einem Übermaß zur Kenntnis, sodass Apathie gegenüber dem Weltelend ein - sicher nicht in der Neuzeit erfundener - Schutzmechanismus ist. Dass nun die Kunst gegenwärtig gegenüber einer Unzahl medialer Kanäle, die bis in die Kapillaren des Elends eindringen, in besonderer Weise autorisiert ist, hier neue Sensibilitäten zu schaffen, glaube ich nicht ansatzweise. Betroffen machen Dokumentationen, die - cum grano salis - die Nacktheit des Elends erfassen, während Kunst bei aller Bemühung um Welt- und Sozialkritik immer eine "ästhetische" Angelegenheit bleibt.

Goedart Palm

Funktionen der Kunst

Jenseits von Sozialanklage, Sinn und Dekoration gibt es diverse Funktionen der Kunst. Im Übrigen bin ich mir nicht sicher, ob Ornamente nicht vielleicht Menschen stärker geprägt haben als Sinnangebote der Malerei.

Goedart Palm

3/29/2015

Industrieruinen

Das Wissen um den Abriss resp. die Vergänglichkeit dieser Orte macht ihren besonderen ästhetisch-nostalgischen Reiz aus. Wenn die - wie im Ruhrpott häufig zu sehen - dann zu Fitness-Arealen etc. verwandelt werden, ist das die Mumifizierung der falschen Art.

Goedart Palm

3/20/2015

Grenzverletzungen und der Untergang des Abendlands

Immer empfindlichere Grenz- und Regelverletzungen sind seit den siebziger Jahren eine politische Auseinandersetzungsform, der sich die Theorie von Herbert Marcuse bis hin zu Jean Baudrillard mit viel Sympathie widmete. Gewalt gegen Sachen, Graffiti im öffentlichen Raum als Aufstand der Zeichen oder lieber gleich Terrorismus in einer Kultur, die doch ohnehin nach dem ideologisch abgesicherten Fahrplan der Menschheitsgeschichte längst untergegangen ist. Jenseits der allfälligen Apokalypse reicht heute der Blick in eine beliebige Schule, um desintegrative Praktiken bei Schülern zu beobachten, die vor Jahren zur Verbannung geführt hätten. Scheinbar entsolidarisiert sich die Menschheit mit sich selbst. Andererseits verbindet sich Zivilisation immer mit gesellschaftlichen Dynamiken, die von "Helden" ausgelöst werden, deren Vitalität von Kriminalität etc. schwer zu trennen sein mag. Dass Menschen je in befriedeten Gesellschaften leben werden, bleibt wohl eine utopische bzw. eutopische Wünschbarkeit, der man sich nicht verschreiben sollte.   

Goedart Palm

3/19/2015

How to make photos? (23)

Letztlich sind stürzende Linien ästhetisch zu rechtfertigen oder nicht. Mit anderen Worten: Sie können  als Fehler oder als Ausdrucksmittel erscheinen. Aber der Fetischismus des planen Realismus interessiert mich nicht, zumal ich nicht mit den Kameras operiere, die solche Effekte vermeiden bzw. entsprechende Bearbeitungen eröffnen. Alle Regeln sind vor allem dazu da, sie intelligent zu durchbrechen, sprich: eine neue Regel zu bilden.

Goedart Palm

3/16/2015

Shortcut zur Logik des Terrors

Der Terror ist asymmetrisch in seiner Kommunikationsverweigerung gegenüber Gesellschaften, die ihrer historischen Erfahrung nach Kommunikation, Diskurs und freie Wahlen für ihre Haupttugenden halten. Der öffentliche Raum wird zur Kampfzone erklärt, in der nun Mittel eingesetzt werden, die gesellschaftliche Angst wie staatliche Überreaktionen auslösen sollen. Wie schwer sich Staaten damit tun, ihre eigenen Legitimitätsvoraussetzungen nicht zu verraten, machte der "war on terror" der Bush-Regierung besonders deutlich. Langfristig sind nur Strategien effektiv, die den Vorteil friedlicher Auseinandersetzungen für alle Beteiligten plausibel machen. Das ist allein durch aufwändige Integrationen von Gruppen und Einzelnen zu erreichen, die ihre soziale und ökonomische Sicherheit nicht länger an Heilsideologien abtreten wollen. Je fragiler solche Sicherheiten werden desto zahlreicher werden Proselyten fundamentalistischer Führer und Prediger nachwachsen. Wer die Zivilgesellschaft erhalten will, muss begreifen, dass ihren immer radikaleren Umbrüchen mit den alten Formeln kapitalistischer oder liberalistischer Weltbeglückung kaum zu begegnen ist. Insofern ist der Terror ein Indiz für das Versagen von Gesellschaftstheorien, die hartnäckig an obsoleten Bildern des "pursuit of happiness" festhalten.   

Goedart Palm

Die Dialektik unserer Eigentumsordnung

Wertvolle ästhetische Objekte gehören in den Tresor, was sie dann selbst für den Eigentümer wieder begehrenswert macht.

Goedart Palm

3/14/2015

Vom Elend der Publikationen

Wenn ich sehe, was heute gedruckt wird, erhärten sich die Gründe, nicht mit solchen Texten - Rücken an Rücken - präsentiert zu werden. Der Geist, von dem Nietzsche sprach, hat längst angefangen zu stinken. Allerdings rechtfertigt das keinen Kulturpessimismus. Wir gehen einer alten Kunst nach. Vor Jahrtausenden nannte man es Mumifizierung. 

Goedart Palm

Film Noir - Meine Reise in die Vergangenheit (An intricate production still)


Dieses Bild einer "night in Paris" ist Resultat einer kleinen Zeitmaschine, die zu basteln heute erheblich einfacher fällt als zu den Zeiten, der diese Aufnahmen anzugehören scheint. Das Bild ist Still eines Films, den ich vor Jahren, allerdings weniger Jahren, als man zu glauben bereit wäre, gedreht habe. 

Goedart Palm

3/10/2015

Intermedialität

Bitte nie die Anregung von Neil Postman vergessen, dass geschickt gestapelte Bücher als Unterlage den Fernseher exakt in die gewünschte Lage bringen können. Das nenne ich "Intermedialität"!

Goedart Palm

3/09/2015

Kulturzerstörung

Dialektisch betrachtet ist Kulturzerstörung, vom Bürokraten abgesehen, der Kunstwerke wegräumen lässt, weil er sie erst gar nicht als Kunst erkennt, eine Form der Anerkennung. Wer Götter- und Götzenbilder entsorgt, weil er in ihnen eine Gefahr wittert, glaubt an eine Kraft, die wir kaum mehr kennen. In der Historie der Bilderkriege aller Sorten war diese Überzeugung dagegen ein Standard. Der hl. Bonifatius vernichtete aus missionarstrategischen Gründen die Donaueiche, um die Überlegenheit des Christentums augenfällig für alle zu bekehrenden Heiden zu demonstrieren. Künstler, die an die ideelle Kraft ihrer Bilder glauben, haben - bei aller Abscheu im Übrigen - wenigstens von Ferne ein Verständnis für solche Erregungen. Eine lauwarme liberale Kultur, der jede Kunst gleich-gültig ist, hat den Glauben an sie längst verloren, so nachhaltig die sonntäglichen Beschwörungen der Bedeutung der Kunst auch ausfallen mögen. Eine Kunst, die allein dadurch existiert, dass sie - im schlechten Sinne des Wortes - musealisiert und damit entschärft werden kann, fristet eine fragile Existenz. Unsere Gesellschaft mag daher über den Zorn der Bilderstürmer die eigene kulturelle Selbstentwertung einer Revision unterziehen. Darüber nicht kulturpessimistisch zu werden, könnte eine Anstrengung wert sein, die darin bestünde, mit härteren, medial nicht weichgespülten Kategorien die Welterschließung durch Kunst wieder ernst zu nehmen.  

Goedart Palm

3/08/2015

Kitsch

Kitsch ist nicht nur das "Böse im Wertsystem der Kunst", sondern hat mitunter auch Momente, die sich gegen die eigene Konstitution auflehnen.

Goedart Palm

3/04/2015

Kulturpessimismus

Kulturtechniken ändern sich so zwangsläufig wie radikal. Evolutionär betrachtet wird - auch im "Reich des Geistes" - das ausgebildet, was benötigt wird. Und "deep reading" wird eher keine große Zukunft haben. Als Trost: Jeglicher Kulturpessimismus hat immer Unrecht!

Goedart Palm

3/03/2015

Beethovens größter Fan

Beethovens größter Fan war unzweifelhaft Alex. Hier ging die Musik in ihrer ganzen Erhabenheit, die Alex gegenüber den Kids und ihrer primitiven Musiklimonade betont, 
in den Körper und erfüllt den Geist. Die Musik wird zur Totalen der Existenz. Beethoven 
im Konzertsaal ist bereits ein Problem...

to be continued

Goedart Palm

2/15/2015

Museumscafes

Museumscafes sind ein absolut monografieverdächtiges Thema. Im Victoria & Albert Museum habe ich weiland 7,50 DM für drei Erdbeeren plus Sahneklecks bezahlt. Wahrscheinlich Eat-Art. Im Musée d'Orsay habe ich eine Stunde auf ein exorbitant teures Brötchen gewartet, immerhin von einem Kellner im cellophanierten Zustand hygienisch korrekt überreicht. War wohl eine Performance. In der Cité des sciences et de l’industrie habe ich, ohne die gemächlichen Serviceleistungen abzuwarten, eigenhändig einen Teelöffel aus dem Besteckkasten genommen, was allseits schockierte Blicke auslöste, weil das wahrscheinlich einer Arbeitsplatzvernichtung gleich kam. 

Goedart Palm

1/31/2015

Satire als Heldentum

Juvenals "Es ist schwierig, keine Satire zu schreiben" verwandelt sich zu: "Es erfordert Mut, eine Satire zu schreiben". Auch wenn das für den westlichen Freiheitsbegriff unerträglich ist, liegt ein paradoxer Impuls in dieser "ungeistig-moralischen Wende". In den letzten Jahrzehnten genoss Satire eine Narrenfreiheit, an deren Beliebigkeit sie längst notleidend geworden ist. Wer jetzt zum Stift greift, um bestimmte Themen aufzuspießen, bewegt sich nolens volens wieder auf einer explosiven Schnittlinie, die jener ähnelt, die früher die Tyrannen für ihre Kritiker bereit hielten. Die neue, diesmal aber (inner)gesellschaftliche, nicht staatliche Tyrannei wäre nur dann zu stoppen, wenn der Fanatismus nicht als billige ideologische Ressource überreich zur Verfügung stünde. Anders wäre das nur in einer wirklich globalisierten Kultur, der die Unterscheidungen zwischen Bildern und Waffen, Meinungskampf und nackter Gewalt etc. unabdingbar sind, weil sie zugleich die dafür nötigen Bildungsvoraussetzungen für alle schafft.

Goedart Palm

1/28/2015

Dreitagebart

Der Dreitagebart erscheint wie die Behauptung, noch nicht völlig domestiziert zu sein, ohne dabei den wölfischen Eindruck eines Vollbartes zu riskieren. So wie bei Quark und Joghurt stellt sich das Tier im Manne auf den "light"-Modus um, was man kurzgefasst dann vielleicht auch als Lifestyle-Quark bezeichnen könnte.  

Goedart Palm

1/20/2015

Systeme zur Erkennung von Betrugsversuchen

"Durch das von uns entwickelte System zur Erkennung von Betrugs-versuchen was unter anderem Ihren Standort der Bezahlvorgänge miteinander vergleicht, war es uns nicht möglich diesen Vorgang eindeutig Ihrem Handeln zuzuordnen." Und im Übrigen verlangen diese Sprachkompetenten über 800 € für einen Vorgang, der nicht eindeutig meinem Handeln zuzuordnen ist. Gut, dass das von mir nicht entwickelte, gleichwohl gut funktionierende System zur Erkennung von Betrugsversuchen auch die von anderen entwickelten Systeme zur Erkennung von Betrugsversuchen so einfach durchschaut... Vor allem spart mein System 800 €, was täglich wiederholt, eine erkleckliche Summe im Jahr darstellt...

Goedart Palm

1/15/2015

Säkularisierung

Mehr oder weniger ephemere Effekte dürfen nicht darüber täuschen, dass die Säkularisierung "in the long run" überall voranschreitet. Dass bestimmte Religionen dagegen immun sind, glaube ich aus prinzipiellen (fast religiösen ;-)  Erwägungen heraus nicht...

Goedart Palm

Härtere Strafen für Blasphemie

Gute Initiative der CSU, denn die Relevanz des Gesetzes wird dadurch noch deutlicher. Es gibt seit vielen Jahren keine aktuellen Entscheidungen zur Gotteslästerung. Offensichtlich will man den Paragrafen nicht einmal mit spitzen Fingern anpacken, weil es doch nur auf Blamagen der Justiz hinausliefe. Wer also für härtere Strafen ist, sollte mal genauer erläutern, wie dann Kunst-, Meinungs- und Religionsfreiheit überhaupt noch sinnvoll in das Verhältnis gesetzt werden sollen. So leiten sich Justizpossen ein...

Goedart Palm

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