Beethovens Immunisierung gegen seine Vereinnahmung in den Wiener Betrieb kann selbstredend nicht unreflektiert auf den Kulturbetrieb der Bundesrepublik Deutschland bezogen werden, auch nicht auf das Beethovenfest in Bonn. Die Frage, die sich Beethoven eher nicht vorlegen lassen musste, ist längst die, ob Kunst heute überhaupt noch eigensinnig ist. Eigensinn ist in der Politik und der Pädagogik eine vorzügliche Kategorie der Erkenntnis geblieben, in der Kunst ist der Eigensinn zur Pose verkommen. Beethoven kannte das Authentizitätsgerede nicht, das sich in das System Kunst bis hin zu dessen völliger Folgenlosigkeit einnistete. Die Wichtigtuerei, die den Betrieb heute kennzeichnet, kann Beethoven nicht gemeint haben. Zu reflektieren wäre über die Frage, was denn mit "Formen" gemeint ist. Sind es werkimmanente Formen oder die zahllosen inszenatorischen Zurüstungen, die eigentlich nur noch die Frage aufwerfen, warum wir hier in Bonn nicht längst eine Beethovenkugel erfunden haben, wenn das denn eine Erfindung sein sollte. Also was bleibt denn von Beethoven, Kunst und Eigensinn übrig, wenn der Betrieb entscheidet?
Goedart Palm
P.S.: "Oskar Negt und ich definieren die Revolution mit dem Wort „Eigensinn“. Es gibt einen im Menschen eingebauten Widerstand, etwas, das nicht gehorcht." (Alexander Kluge). Die Aufführungspraxis im Falle Beethovens kann diesen Anspruch nicht erheben. Es wäre zu verfolgen, ob Beethoven heute noch revolutionäre Einflüsse auf die Kompositionskunst nachgesagt werden könnten. Sonst wäre Eigensinn im Falle Beethovens nur noch als geschichtliches Phänomen zu beschreiben, das uns aktuell weder psychoästhetisch noch -politisch viel sagt. Wer zu häufig "Eigensinn" apostrophiert, dem könnte er fehlen.