10/03/2012

Klärwerk III Vernissage 03.10.2012 Vorwort Goedart Palm

Klärwerk III - 3. Oktober 2012 - Haus an der Redoute (Vorwort: Goedart Palm)

Liebe Gäste, liebe Künstlerfreunde, "Vorwort" ist eine Schreckvokabel, geeignet, selbst Wohlmeinende zu vertreiben. Denn im Ernst: Jahrzehnte lang haben wir Vernissagen besucht, in der Hoffnung, der schlechte Redner möge endlich, endlich aufhören und den Weg zum kalten Buffet frei machen. Und der Deutsche ist, wie Kurt Tucholsky vermerkte, der geborene schlechte Redner. Kunst und Religion haben eine gemeinsame dunkle Herkunft im Kult. In beiden Systemen kommt erst die Buße, dann die mehr oder minder weit reichende Erlösung. Hier Paradies, dort Petit four, Seelenheil oder Schnittchen. Das "Vorwort" ist die Bevormundung. Es klingt nach dem Zwang, sich sammeln zu müssen. Der Künstler dagegen darf sich in den Beliebigkeiten seiner Kunst ergehen und delirieren. Der Besucher muss reflektieren. Wie es scheint, ist das eine ungerechte Arbeitsteilung, wenn es keinen dritten Weg gäbe: Die kulinarische Vernunft. Im Rheinischen Landesmuseum Bonn, in jenen goldenen Siebzigern, als Staat und Gemeinden noch ein respektables Kulturbudget verprassten, präsentierten sich Vernissagen als Feste opulenter Gastronomie. Als Student fand ich diese Esshochkultur gegenüber der eingeborenen Mensaküche vorzugswürdig. So bin ich also zur Kunst gekommen. Was braucht es Eat-Art, wenn Feinkost-Käfer kommt? Mein heimlicher Verdacht seit jenen Tagen besteht weiterhin: Die kulinarische Vernunft könnte mehr als ein einfacher Ableger der ästhetischen Vernunft sein. Sollte sie gerade im Blick auf die gegenwärtige Kunst das überlegene Modell sein, die Welt sinnlich zu erfahren?

Der wichtigste Betriebsstoff, nicht nur des Kunstsystems, ist heute Aufmerksamkeit. Neulich hat Lady Gaga eine CD aufgenommen und war dabei angeblich - splitterfasernackt. M. E. beeinflusst das in beheizten Studios zwar nicht maßgeblich die Qualität der Songs - wenn die im Falle dieser Künstlerin überhaupt beeinflussbar sein sollte. Vor allem soll hier aber der Hörer lüstern aufgeheizt werden. Die Art der Produktion ist schon die Verkaufsidee. Hier wird eine Intimität suggeriert, die so viel "Gagabyte" hat, dass selbst das Internet kapituliert. Lady Gaga bleibt zwar nur ein Hörerlebnis, wenn es denn eines sein sollte. Doch die eigentliche Verheißung ist der erotische Mehrwert: ihr imaginärer Klangkörper. Das bieten wir heute hier - leider oder Gott sei Dank - nicht an. Klassische Vernissagen funktionieren aber ähnlich. Alles riecht nach Firnis, der Betrachter wähnt sich schon im Atelier und rückt dem Künstler auf die Pelle bzw. die Leinwand. Wenn er sie dann wenigstens kauft - und das gilt natürlich insbesondere hier und heute - ist das ein Schmerzensgeld für diese Aufdringlichkeit.

Obwohl der Gagaismus von unseren Dada- und Oberdada-Künstlerfreunden in Zürich, in Paris und nicht zuletzt in Brühl erfunden wurde, heißt von Lady Gaga zu lernen siegen zu lernen. Die großen Programme der Kunst verschwinden heute fast rückstandsfrei hinter der "Aufmerksamkeit" als der neuen Superkategorie künstlerischer Wichtigtuerei. Vormals hieß es großspurig, aber programmatisch: "Kunst ist Kunst" oder ein bisschen später "Kunst ist Antikunst", "Kunst ist Politik", "Kunst ist Leben". Mein Lieblingsspruch ist "Kunst ist autonom", will sagen: Mein Genie braucht Geld. Das klassische Selbstverständnis ist zu großen Teilen Geschichte. Alles ist irgendwann gleich gültig, so gleichgültig uns das an der Kunst oder anderenorts vorbeigeht. Das neue Existenzrecht der Kunst beruht primär auf Lärm, Finanzspekulationen und heiß laufenden Institutionen, in denen einige unserer Vettern sitzen. Großer Ideen, besonderer Sensibilitäten oder weltumspannender Betroffenheiten bedarf es da nicht. Es reicht hier, wenn der Künstler klarstellt, dass er darüber im Übermass verfügt. Wir haben das auch behauptet und zumindest der General-Anzeiger hat es regelmäßig gedruckt.

Platon würde sich freilich im Grabe umdrehen. Denn solche Unterstellungen sind im Täuschungsgeschäft der Kunst bereits eine Illusion zweiter Ordnung. Früher malte der Maler Zeuxis Trauben täuschend echt, schlimm genug, wie Platon fand. Heute behauptet man, die grünen Flecken seien so authentisch wie innovativ auf der Leinwand verteilt, dass der Betrachter nur richtig hinschauen müsste, um es dem Künstler nachzufühlen - oder nachzusehen. Der Sieg der Interpretationsherrschaft im Kunstgeschäft ist höchst praktisch, weil keiner das Gegenteil beweisen kann. Kunst wäre dann ernst zu nehmen, wenn es auch Nichtkunst gäbe. Wie aber etwas Nichtkunst sein kann, wenn es doch an der Wand hängt, einen Rahmen hat und manchmal sogar pfeift, vermag mir keiner zu erklären. Im Gegenteil: Kunstmuseen finden ihre antiquierte Daseinsberechtigung darin, den Unterschied zwischen Kunst und Nichtkunst aufzuheben, weil nur ihre Institution den Unterschied markiert. Das ist nicht mehr zeitgemäß, weil das gegenwärtige Stichwort „Inklusion“ heißt. Im Sinne der Gleichheit der Künstler und der Gleichgültigkeit gegenüber aller und jeder Kunst sollte es also heißen: Alle Kunst muss in die Anstalt - will sagen: in das Museum. Jene aber, die meinen, die Qualität der Kunst spiele hier doch noch eine Rolle, kommen nur so voll auf ihre Kosten bzw. die Kosten des Steuerzahlers. Denn die große Kunst müsste sich doch gerade im Vergleich mit dem künstlerischen Abfall, der nun neben ihr hängt bzw. verschimmelt, als groß erweisen. Jonathan Meese meint das ernsthaft - Zitat: „Ich leide darunter, dass mir irgendwelche Skulpturen als Kunst verkauft werden, aber in Wahrheit Design sind. Ich leide darunter, dass mir beschissene Malerei gezeigt wird, die in Wirklichkeit hochgepushte Illustration ist.“ Von eben diesem und 1001 anderen Leiden berichten nun andererseits wiederum Leute, die Meese-Ausstellungen besuchen und die vom Künstler apostrophierte "Diktatur der Kunst" für eine der bloßen Willkür halten.

Was wiederum lernen wir daraus?

Wer die "Diktatur der Kunst" verkündet, macht damit vor allem klar, wie völlig bedeutungslos Kunst - zumindest hier im Westen - geworden ist. "Pussy Riot" funktioniert als künstlerischer Aufruhr nur deshalb, weil ein autoritäres Regime noch nicht kapiert hat, dass Toleranz die beste Droge ist, um politische Kunst einzuschläfern. Würde die Kunst hierzulande die Verhältnisse diktieren, wäre sie weder auf Manifeste noch Beschwörungen oder gar den so hochoriginell provokanten Hitlergruß Meeses angewiesen. Man kann heute über jedes Kunstwerk fast alles sagen. Deswegen sage ich über die hier hängenden, liegenden und ermatteten Schönheiten gar nichts. Der Künstlerfreund Dieter Roth hat seine Sicherheit in der nicht mehr ganz neuen Unübersichtlichkeit als ein fortgeschrittenes Freiheitsmodell erkannt: "In der Unsicherheit kann man alles machen, was Du willst, schmieren, pissen, quatschen und auch Kitsch machen."

Vor ein paar Tagen las ich, dass hier in Bad Godesberg "gegenstandslose Künstler" ausstellen. Nach einer Schrecksekunde, hier würde bereits öffentlich gegen Klärwerk III polemisiert, beruhigte ich mich. Die Gegenstandslosigkeit der Kunst ist ja längst keine bloße Stilkategorie mehr, sondern beschreibt das Tun aller unserer Künstlerfreunde gleichermaßen und flächendeckend. Das hat keiner so gut erkannt wie Kardinal Meisner. Angesichts des leibhaftigen … Gerhard-Richter-Fensters im Kölner Dom stellte er fest, es sei zu abstrakt und nicht spezifisch christlich. Das bunte Glas passe eher in eine Moschee oder in ein Gebetshaus. Der Künstler konterte. Er hielt dem ungehaltenen Kardinal vor, dass er sich mit diesem Bild dem Christentum gerade nahe fühle. Die eigentliche Pointe lieferte aber lange vor dem künstlerischen Glaubensstreit der Kritiker Eduard Beaucamp. Er sagte über Richter: "Das artistische Spiel mit fast allen zeitgenössischen Modalitäten ist der einzige Sinn und Inhalt seiner Kunst.“ Ich übersetze das mal für Meisner, Richter, den Rest unserer Künstlerfreunde und alle Anwesenden so: Das, was an der Wand hängt, stört selten. Nur Menschen mit einer echten Standortbindung im mehrfachen Wortsinne wie der Kardinal nehmen Kunst noch wirklich ernst.

"Des Kaisers neue Kleider" treffen diesen fröhlichen Sachverhalt künstlerischer Selbstauflösung schon lange nicht mehr: Denn jeder darf nun für sich selbst entscheiden, ob er Kleider sieht oder nicht. Kindermund ist inzwischen so unberufen wie alle anderen Schiedsrichter auch, wenn es um die Wahrheit in der Kunst geht. Und wem das noch nicht reicht, der darf sogar behaupten, dass es zwischen textilen und nackten Oberflächen gar keinen Unterschied mehr gibt. Auch das hat Lady Gaga bereits bewiesen: Bei einer Preisverleihung trug sie jüngst ein Kleid aus Rindfleisch, das anschließend - logisch! - in das Kunstmuseum wanderte. Als das Fleisch dann dort so dunkel wie ein lange abgehangener Rembrandt wurde, hat man es angemalt, damit es wieder frischer aussieht. Künstlicher können die Verhältnisse der Kunst kaum mehr werden.

Also fundamentalästhetisch gefragt: Ist das Kunst oder kann das weg? Die Ironie des Spruchs besteht darin, dass er seine Ironie längst eingebüßt hat - wenn er sie überhaupt je hatte. Es beginnt vielleicht mit der Badewanne, die der SPD-Ortsverein Leverkusen-Alkenrath als Recycling-Spüle für Biergläser einsetzte und von der Joseph Beuys hinterher behauptete, das sei doch Kunst, echte Kunst. Also die Badewanne, nicht das Bier-Happening. Der wichtigste Beuys-Schüler Johannes Stüttgen, der vor Jahren übrigens an einer legendären Klärwerk III-Ausstellung teilnahm und somit unser aller Künstlerfreund ist, kassierte 40.000 DM für eine in der Kunstakademie Düsseldorf beschädigte Fettecke des Meisters. Ich habe die teure Ecke vor ihrer Demontage live im Beuys-Atelier gesehen und gar nichts dabei empfunden. Mir selbst erschien es bei Umzügen mehrfach praktischer, Kunstwerke lieber sofort dem städtischen Sperrmüll zu übereignen, wenn das Museum seine Pflicht versäumt. Dass zwischen Museum und Müllverbrennungsanlage die Beziehungen so zufällig wie dicht beieinander verlaufen, wissen die allermeisten Künstler. Der Meister auch dieses Wissens war Beuys, den ich mal lässig live sagen hörte: „Wenn sie wollen, kann ich Ihnen meinen Mist signieren.“ Erst wenn man dieses meisterliche Niveau der Selbstvermistung, will sagen: Selbstvermarktung, erreicht hat, kann man Kunst wieder ernst nehmen.

Klärwerk III besteht seit 30 Jahren auf unsauberen Verhältnissen. Der Futurist und spätere Minister Mussolinis, Filippo Tommaso Marinetti, forderte im Vorgriff auf diese Situation: "Leitet den Lauf der Kanäle um, um die Museen zu überschwemmen!" Gehen wir mal davon aus, dass er Abwässerkanäle meinte. Daraus lassen sich dann zwei Schlüsse ziehen: 1. Museen ohne Klärwerk-Kunst sind - wie etwa im Fall des Bonner Kunstmuseums - kunsthistorisch betrachtet ein unentschuldbarer Irrtum, geradewegs Irrläufer künstlerischer Evolution. 2. Man kann nicht wahre Kunst machen, ohne sich die Finger, Hemden, Hosen und Schuhe schmutzig zu machen. Weniger klärschlammtechnisch formuliert und - um ein viel zu oft zitiertes Wort von Adorno noch weiter zu missbrauchen: Der neue, also der saturierte Idealismus besteht darin, weder von der Kunst der anderen noch von dem eigenen Mist sich dumm machen zu lassen. Wenn nicht Klärwerk III, wer dann kann die Zuständigkeit für diese Art von Selbstreinigung reklamieren?

Wenn es Ihnen also heute hier gelingt, sich von der Kunst nichts vormachen zu lassen, haben Sie alles - missverstanden, was ich Ihnen schon immer mal sagen wollte.

Ich danke Ihnen für ihre relative Aufmerksamkeit.

Goedart Palm

Impressum

Verantwortlich im Sinne des Presse- und Medienrechts:

Dr. Goedart Palm
53111 Bonn - Rathausgasse 9
Telefon 0228/63 57 47
0228/69 45 44
Fax 0228/65 85 28

Email drpalm at web.de

Haftungsausschluss/Disclaimer
Gewähr für die Aktualität und Richtigkeit der Angaben wird nicht gegeben, auch wenn die Seiten mit der gebotenen Sorgfalt erstellt wurden. Im übrigen distanziert sich der Autor der vorliegenden Seiten entsprechend dem Urteil des Landgerichts Hamburg vom 12. Mai 1998 ausdrücklich von den Inhalten dritter Internetseiten. Selbst unabhängig von diesem Urteil, was so fröhlich zitiert und von kaum einem je gelesen wurde, distanziere ich mich grundsätzlich von allen Texten etc., die ich nicht selbst verfasst habe. Für alle Links gilt: Dr. Goedart Palm hat keinen Einfluss auf Inhalt und Gestaltung der verlinkten Seiten. Die Nutzung von Links, die zu Seiten außerhalb der von der hiesigen Websites führen, erfolgt auf eigenes Risiko der Nutzer. Der Verweis auf Links, die außerhalb des Verantwortungsbereiches des Betreibers dieser Website liegen, führt nur dann zu einer Haftung, wenn er von den Inhalten Kenntnis hat und es ihm technisch möglich und zumutbar wäre, die Nutzung im Fall rechtswidriger Inhalte zu verhindern. Für weiter gehende Inhalte und für Schäden, die aus der Nutzung oder Nichtnutzung solcher Informationen resultieren, haftet allein der Betreiber dieser Seiten.