Neulich in Bonn, Kabarett-Premiere von Andreas Etienne. Thema: Zukunft. Die Allzuständigkeit des Kabaretts für Themen, die man nicht der Politik überantworten will, liegt auf der Hand. Wo sonst findet man geistreiche Neubeschreibungen von Problemen, die auf ihre Lösung warten und das vielleicht bis zum Ende aller Tage? Die Zukunft hat in Fortschrittsgesellschaften mit technischer Hochbeschleunigung eine blendende Karriere vor sich, um es so zirkulär wie eben möglich zu sagen und deswegen befassen wir uns mit ihr zumeist mehr als mit der Gegenwart. Diese Karriereaussichten der unheimlichsten Zeitform, der Menschen unterworfen sind, gründen auf einer Mischung aus Optimismus und höchst unterschiedlich dimensionierten Apokalypsen. Zukunft ist eine berauschende Projektion mit und ohne Fluchtpunkte. Auch Andreas Etienne beteiligt sich an diesem Spiel ohne echte Grenzen mit seinem Programm „Wer zuletzt lacht…“ mit etlichen imaginären Überschüssen, allerdings ohne je die rheinische Bodenhaftung zu verlieren.
Das Menschliche, Allzumenschliche mag sich mit und in der Technik weniger verändern, als es Medienphänomenologen nicht müde werden zu behaupten. So entstehen neue Gesten, etwa wenn die fidele Großmutter, in die sich Etienne verwandelt, mit der „Multifunktions-Tasse“ nicht nur Kaffee schlürft, sondern auch mit der Welt am Draht kommuniziert. Doch ihre Befindlichkeit ist so weit nicht von den klassischen Großmutter-Existenzen entfernt, die uns geläufig sind. Immerhin tröstlich für uns Alteuropäer: Die Zukunft der älteren Springmaus hat gerontophile Tendenzen. Jedenfalls kommt die alte Lady mit ihrem elektronischen Bespieler gut klar, auch wenn die Hinterlist des Fortschritts ausreichend Irritationen bereit hält. Wie schlägt man der moderaten Orwellisierung des Lebens ein Schnippchen, etwa wenn man ungesund essen will, um nicht dem Körper, aber der Seele etwas Gutes zu tun, doch übereifrige Cyborgs allgegenwärtig dem exzessbereiten Menschen auf die Finger klopfen? Darauf weiß Etienne einige Antworten zu geben. Wer den Touch-Screen mit Sekt bespritzt, muss anders, als es uns ein Werbeclip seit geraumer Zeit einmassiert, mit chaotischen Reaktionen seiner neuen E-Friends rechnen. Die Tücke des Subjekts hat allerdings mindestens ebenso durchdringenden Charakter wie alle diabolischen Neuerfindungen der Technik. Die Großmutter spielt auf der Klaviatur des Selbstmitleids und an dieser alten Strategie ändern auch alle Techno-Kicks nicht viel, wenn man doch noch mal, ein letztes, allerletztes Mal mit der Familie des Sohnes in Urlaub fahren will. Der Mensch bleibt sich und seinen „tics“, seinen neuen alten Lüsten und Gewohnheiten treu, wenn er sich schon nicht länger auf das technisch provozierte Gleichmaß der Welt verlassen kann. Der Mensch, insbesondere aber der Rheinländer, ist ein seinsversessener Homöostat. In den Update-Wirklichkeiten von morgen plädiert Etienne folgerichtig für die überlieferte „conditio humana“, wie sie der rheinische Fatalist auf das Vorzüglichste verkörpert. Das nimmt man ihm auch jenseits der Selbstinszenierung ab, so wenig wir im Übrigen glauben, dass die Technik den Menschen in seinem – alteuropäisch formuliert – Wesen nicht tiefer treffen könnte, als wir und das Kabarett es heute wahrhaben wollen.
Dass der Mensch über die Jahrhunderte immer wieder vom Apokalypsewahn mehr oder minder ideologisch geblendeter Zeitgenossen konfrontiert wird, demonstriert Etienne schmerzlich an der Geschichte der (realen) Großmutter: Alle Katastrophen der Menschheit waren für die Ende des 19. Jahrhunderts geborene Generation im Programm. Als die alte Frau zwei Weltkriege, persönliche Schicksalsschläge in Serie und überhaupt alles überstanden hat, kann sie über die Prophezeiung der Zeugen Jehovas vom allfälligen Weltuntergang, diesmal im Jahre 2000, nur noch lachen. Das Lachen im Kabarett hat zumeist eine andere Provenienz. Doch Etienne gelingt es, sehr unterschiedliche Stimmungen und Zukunftsgestimmtheiten zu versammeln, weit entfernt von der Homogenisierung des Lachens, wie sie etwa Mario Barth angelegen ist. Auf dieses Kabarett für Übermorgen darf man sich also einlassen, weil es schon in der Gegenwart funktioniert, was wiederum die Relativität nicht nur unserer satirischen Zeitlichkeit erweist.
Goedart Palm
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