10/30/2012

Kulturberichterstattung General Anzeiger

Heute präsentiert der General-Anzeiger einen Konzertbericht der "Söhne Mannheims" im Kölner E-Werk. Was bringt das wem? Das Konzert ist vorbei. Der Teufel weiß, wann die Gruppe noch einmal in der Gegend erscheint. Die Gruppe ist nicht gerade ein Weltereignis, abgesehen vom üblichen "de gustibus non ...". Was im Übrigen hat das Kölner E-Werk mit Bonn zu tun? Wenig bis gar nichts. Es gilt selbst für die FAZ, dass der Kulturteil die geringste Leserschaft findet. Muss Kulturjournalismus sich in dieses dröge Schicksal hineinfinden? Gibt es keine anderen Themen als irgendein Konzert, das in Köln läuft und für das in der Redaktion ein paar Freikarten herumliegen. Ich befürchte, wir müssen uns die Kulturberichterstattung anderenorts "besorgen". Kultur, die nicht so präsentiert werden kann, dass sie den Leser trifft, existiert gar nicht. Der Kulturjournalismus hätte noch eine echte Bewährungsprobe vor sich, wenn er noch an sich selbst glaubte, was ich wiederum nicht zu glauben vermag.

Goedart Palm

10/29/2012

Cybermedienwirklichkeit

Wer sich ein wenig für die Rezeption der Publikation "Cybermedienwirklichkeit" interessiert, wird hier fündig.

Goedart Palm

10/28/2012

"Medien" und Hautausschlag

Wer von "Medien" spricht, sollte Hautcreme besitzen. Denn der Hautausschlag ist bei dieser Begrifflichkeit inzwischen fast garantiert. Wenn die Medien dann noch "postmedial" werden, sollte man die große Forte-Packung nehmen. Der oder die wären genial, die auf den Begriff "Medien" verzichten könnten. So weit sind wir noch nicht, aber es steht kurz bevor.

Goedart Palm

10/27/2012

@General-Anzeiger, wie lieb´ ick Dir.

Der General-Anzeiger bleibt das unhintergehbare Blatt unserer Wahl. Denn hier gibt es originelle Unterscheidungen, von denen die Kunst bekanntlich lebt. Inzwischen finden Ausstellungen einer der ältesten Bonner Künstlergruppen "KLÄRWERK III" nicht mehr im Bonner "Feuilleton" statt, sondern werden zum genuinen Teil der Bad Godesberger Lokalszene. Warum sollten das auch Bonner lesen? Distinktion ist doch in der Kultur essentiell. Nun müssen kulturelle Zusammenhänge nicht länger diskursiv breit getreten werden. Hand aufs Herz, wer interessiert sich schon für regionale Kulturhermeneutik und andere Herzensergießungen?

KLÄRWERK III ist nun nicht länger nur eine Künstlergruppe, sondern wird zu einer lokalen Institution wie etwa die Müllverbrennungsanlagen oder schließungsbedrohten Schwimmbäder. Da wollten wir hin! Der General-Anzeiger nimmt es bzw. uns wörtlich, dafür gebührt ihm Dank.

Goedart Palm

Support your local "KLÄRWERK"!

10/26/2012

suhrkamp taschenbuch wissenschaft

Ich konstatiere mein immer größeres Desinteresse an der dunkelblauen stw-Reihe. Früher waren unsere Götter dunkelblau. Der Verdacht kommt auf, dass die Autoren uninteressanter bis nichtssagend geworden sind. Aus tiefer Menschlichkeit heraus nennen wir keine Namen. Einige Titel versprechen perennierende Langeweile. Verlage aufgepasst, Suhrkamp verschläft womöglich etwas. Hier heißt es einspringen. Liefert uns aufregende Wissenschaft und wir werden Suhrkamp untreu! Unsere Leidenschaften sind nicht mehr groß... Goedart Palm

Noch ein Buch - Pippa

Man stelle sich vor, man lebte schiffbrüchig auf einer Insel und hätte nur das Buch von Pippa Middleton zur "Auswahl". Aus der Reihe "Szenarien des Alptraums". Goedart Palm

10/24/2012

@General-Anzeiger - Kunst und Kultur

Dass der General-Anzeiger eine öffentliche Ausstellung einer der ältesten Künstlergruppen Bonns, KLÄRWERK III, im Haus an der Redoute bis zum heutigen Tage ignoriert, klärt mich nicht nur über den Nachrichtenfokus des GA vollständig auf. Es geht auch um das journalistische Ethos, wenn private, kommerziell orientierte Kulturinitiativen, etwa Galerieausstellungen, notiert werden, öffentlich geförderte aber nicht in den Aufmerksamkeitshorizont gelangen. Da frage ich mich, ob der Herausgeber über diese Selektivität der Berichterstattung informiert oder gar erfreut ist. Goedart Palm

Lutherpreis für Pussy Riot

Na klar, was denn sonst! Mit Jesus und Luther gegen die Heuchler. Goedart Palm

10/23/2012

Was Peter Sloterdijk unterschlagen hat!

Gerne lese ich die interessanten Ausführungen zu den geistigen Potentialen in Sloterdijks Ausführungen. Zuletzt geht es noch um die sieben Menschenhirne seraphischer Dimension, an denen auch Gott noch Interesse haben muss. Doch wer, um Gottes Willen, wer ist damit gemeint? Das verrät uns Peter Sloterdijk nicht. Dabei hätte wir für seine Aufzeichnungen noch einige Euro mehr gezahlt, wenn es ein bisschen mehr Namedropping just an dieser Stelle gegeben hätte. Wer sind unsere seraphischen Großgehirne? Goedart Palm

Studiert nicht Medientheorie!

Medientheorie ist kein Studium wert. Denn wenn sich mediale Gebrauchsweisen zu konturieren scheinen, verschwinden sie bereits wieder in der nächsten Technologiekaskade. Dem hecheln dann Theoretiker hinterher, die den ständigen "Paradigmenwechsel" nur noch als Provokation empfinden können. Dieser Prozess lässt sich detailliert beschreiben, er ist vor allem aber eins: kategorienlos. Goedart Palm

10/22/2012

Rentenalter Pareto

Die Erhöhung des Rentenalters ist ein Beleg für die Unfähigkeit dieser und anderer Gesellschaften, die Ergebnisse gesellschaftlich produktiver Arbeit gerecht zu verteilen. Im Grunde ist die Verschiebung des Rentenalters nicht anderes als die Selbstausbeutung des Einzelnen, der auch noch seine letzten Zeitressourcen verschenkt, um über die Runden zu kommen. Das ist nach dem Pareto-Prinzip geurteilt dumm. Auf kollektiver Ebene ist es auch ein fataler Irrweg, der nicht dadurch besser wird, dass inzwischen erkannt wurde, dass die Renten alles andere als sicher sind. Lassen wir uns nicht durch kollektive Irritationen täuschen. Goedart Palm

Schuhtick - RLMB - Oktober 2012

Am besten ist der Bananenschuh: Aus der Stolperfalle wird das betörende Schuhwerk. Das nenne ich eine großartige Anverwandlung. Goedart Palm

10/20/2012

Zuständigkeitsexzesse der Politik

Ist es nicht unglaublich, dass CDU Granden die Düsseldorfer Universität in Sachen "Schavan" attackieren? Wir beobachten eine unglaubliche Kompentenzanmaßung, die "an sich" heftigste Gegenreaktionen auslösen müsste. Sagt die Politik etwas anderes als das: Was ist schon Wissenschaft, wenn es um Etablierungsmomente marginaler Art geht? Wir erleben also einen Bestätigungsdiskurs, der klar macht, dass die Anklagen wegen der Desavouierung der Wissenschaft mehr als berechtigt sind. Goedart Palm

Silvana Koch-Mehrin verlässt das Europaparlament

Wie kann das zu einer Spitzennachricht werden? Wer darüber reflektiert, hat gute Chancen, das heillose Verhältnis von Politik und Medien zu verstehen. Goedart Palm

Kleine Kubrick Hommage

London Zufallsfoto Chelsea Embankment während der Brückenbauarbeiten 2012: Just hier findet die Revanche für den "geheilten Alex" statt, der von einem seiner Opfer, den in der berühmten Anfangssequenz brutalisierten "Penner", an dieser Stelle (rechts an der Brüstung) wiederentdeckt wird. Diesmal leidet Alex. Goedart Palm

Polyphone Politik

Es mag sein, dass seinerzeit die vertikal komplexen Mehrstimmigkeiten der Musik Einfluss auf Staat und Gesellschaft hatten. Max Weber sagte mal, so wolle er schreiben können wie vertikal komponiert werden konnte. Die heutige Polyphonie der Künste dürfte wenig bis gar nichts dazu beitragen, dass Politik entfaltet wird. Der Einfluss der gegenwärtigen Kunst auf die Ausdifferenzierung von Gesellschaften dürfte gleich Null sein. Außer der Perpetuierung alter Ansprüche in einem geschlossenen System ist nicht viel zu sehen.

Goedart Palm

10/18/2012

Damien Hirsts "Verity"

Leonardo da Vinci hat vor solchen Darstellungen auch nicht "zurückgeschreckt". Gewiss, die Anlässe waren verschieden, aber die Ästhetisierung findet sich auch hier. Hirst hat viele Kunstwerke gemacht, die die Welt nicht braucht. Aber "Verity" hat im mehrfachen Wortsinn eine antike Größe. Vormals hätte man gesagt, "Veritiy" ist erhaben...

Goedart Palm

10/17/2012

Systemversagen

Wenn das Statistische Bundesamt konstatiert, dass 15,8 Prozent der Menschen in Deutschland armutgefährdet sind, funktionieren weder Wirtschaft noch Politik so, wie wir es voraussetzen. Wir reden nicht nur im Fall von Deutschland von einem Land mit hoher Produktivität, ohne dass offensichtlich vernünftige Verteilungsmechanismen existieren. Im Grunde bringt das die Verhältnisse auf den Punkt: Wer jetzt noch von Systemen und ihren Vorzügen spricht, sollte genau begründen, welche notwendigen Mechanismen eines gerechten Gemeinwesens er meint. Das erledigt sich nicht im Begzu auf ein Rechts/Links-Schema, sondern setzt einen besseren Blick voraus, die gesellschaftliche Produktion von Reichtum und Arbeit zu begreifen. Im Grunde ist es ein Schaltbild, das qualitative Bahnen der Verteilung festhält, die vielen kleinen Untiefen verzeichnet, in denen Reichtum verschwindet ohne jede gesellschaftliche Verantwortung.
Goedart Palm

10/15/2012

Wenn ich Politiker wäre...

...und mir Frau Merkel "vollstes Vertrauen" gegenüber ausspräche, würde es mir ganz blümerant zumute. Denn hinter diesem Vertrauen stünden vielleicht die Plagiatshäscher und schon bald ist "Vertrauen" keine Währung mehr, um sich zu retten.

Goedart Palm

Et audiatur altera pars?

Frau Annette Schavan fordert diesen Grundsatz ein. Zum Plagiatsvorwurf müsse auch sie gehört werden. Gewiss. Doch sicher ist das hier nicht mit einem beliebigen Ermittlungs- oder Strafverfahren zu vergleichen. Denn sie hat ja die Arbeit geschrieben, die liegt vor und die kann objektiv geprüft werden. Das ist ein anderer Erkenntnistypus als jener, in dem "nur" Zeugen oder andere fragile Erkenntnismittel zur Verfügung stehen. Wie würden objektivierbare Plagiatsvorwürfen exkulpiert? Blackout? Oder: Die zitierten Quellen waren nicht aufzufinden. Frau Schavan mag also die Universität so viel kritisieren wie sie will. Sie hat die Arbeit geschrieben. Und diese Arbeit sollte für sich sprechen - oder eben nicht.

Dr. Goedart Palm

10/12/2012

General-Anzeiger, noch eine kleine Anstrengung, wenn er weiter gelesen werden will

Heute, 12.10.2012, berichtet der General-Anzeiger Bonn über eine Kornnatter, die in einem Garten neben dem Kindergarten der Auferstehungskirche am Haager Weg gesehen wurde. Oh Schreck, die Entwarnung, dass es sich um ein harmloses Getier und keine Ramba-Mamba-Zampa-Würgeschlange handelt, erscheint unserer Lieblingszeitung so aufregend, dass sie gleich zweimal inhaltlich gleichlautend präsentiert wird. Vor ein paar Tagen erhielt der General-Anzeiger den deutschen Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung. Es sei ihm gegönnt. Aber in das Grübeln kommt man bei Ungenauigkeiten der genannten Art schon. Jüngst erschien im GA die Mitteilung, dass ein Kampfhund eine Frau gebissen hat. Das ist in der Tat originell, weil auf jeder Journalistenschule doch das Klischee gelehrt wird, dass es richtig heißen muss: Mann beißt Hund. Abgesehen von solchen journalistischen Höhenflügen erscheint es mir allerdings noch einige Anstrengungen wert zu sein, sich nicht zu sehr auf das familiäre Allerlei und die gut gemeinten, aber bedingt unterhaltsamen Schülertexte zu verlassen. Der GA sollte sich dringend "entmuffen", denn wie ja längst allen deutschen Redaktionen bekannt ist, verspeist das Internet mit größtem Appetit Printmedien und ihre Neuigkeiten, die eben sub specie digitalis keine mehr sind. Dass der General-Anzeiger also zweimal die Kornnatter sich ringeln lässt, aber die Ausstellung einer der ältesten Bonner Künstlergruppen "Klärwerk III" bisher mit keinem Wort erwähnt, lässt uns dieses Flaggschiff des Bonner Journalismus inzwischen doch ein bisschen schwergängig erscheinen.


Goedart Palm

10/11/2012

Das meistgelesene Blog

ist das nicht, aber ich glaube, es bestehen die besten Chancen, es zu werden.

Goedart Palm

Eure Zeit tickt...

Die Klärwerk III-Ausstellung "Künstlerfreunde" im Haus an der Redoute Bad Godesberg geht nur noch bis 28. Oktober 2012. Wer es jetzt verpasst, sieht es nie mehr - in his whole life. Versprochen! Was, wenn Eure Kinder fragen: Bist Du auch dabei gewesen? Dann werde Ihr nicht mehr lavieren können, sondern müsst Rede und Antwort stehen.

Goedart Palm


10/09/2012

I´m not too thrilled...




"...We were thrilled with the outstanding quality of the submissions and glad to have had you as part of the competition.

Unfortunately, due to the large number of participants, your work did not advance to the next round. Thank you again for being part of the Saatchi Online community, we greatly value your participation..."

Well, quite disappointing for I presented my outstanding "Tribute to Piranesi". For me it is part of art history and there is no the slightest reason to discard it. Have a look on it below. Maybe Saatchis way of quality-finding should be reconsidered. I am ready...

Goedart Palm





10/08/2012

13 Assassins

Zitat hin oder her: Kurosawa lieferte ein Meisterwerk ab, während Takashi Miike zwar weiß, die basic patterns des heldischen Samurai-Kampfes wiederzugeben, von den "Sieben Samurai" aber Lichtjahre entfernt ist. Die Figuren von Miike haben kein Eigenleben, die Protagonisten sind Statisten. Alleine der "Clown" ist eine zentrale Figur bei Kurosawa, der existentiell wie eine Figur von Cervantes ist. Bei Miike ist er ein frecher Held, den keine Empathie des Zuschauers begleitet. Der Unterschied zwischen den beiden Filmen ist so existentiell, dass wir uns halt entscheiden, lieber noch zehnmal Kurosawas Meisterwerk anzusehen, während wir Miike schnell wieder vergessen.

Goedart Palm

The Warlords

Man mag Meinungen über Martial Arts-Movies haben, der Film "The Warlords" ist ein antikes Drama, nahe der Iphigenie: Moral des Staates versus natürliche Moral des Subjekts, um nicht von Naturrecht zu sprechen. Konsequentialistische Ethik versus Gesinnungsethik. Es gibt konfligierende Moralen, die unentscheidbar bleiben und das Moralgeschäft gefährlich kontaminieren. Kategorisch ist der Anspruch, aber nicht die Lösung. Die "chinesische Lösung" ist indes zwingend: Alle Protagonisten sterben, so glättet sich der See der moralischen Erregungen. Die Sünde ist getilgt. Doch der Konflikt wird wieder und wieder auftreten...Es gibt keine Lösung: Also handle!

Goedart Palm

10/07/2012

Ein Streit, "der nur Verlierer produziert."

Der Streit um Honorare, mit dem Steinbrück nun antritt, sei einer, "der nur Verlierer produziert", meint Spiegel online. Wieso eigentlich? Ist es nicht so, dass diese Mentalität, auch die Blumen am Wegesrand noch schnell zu pflücken, moralisch höchst zweifelhaft ist? Warum gibt es überhaupt dieses Vortragswesen, das darin besteht, Namen und Geld in ein inniges Verhältnis zu setzen? Man solle sich endlich darüber Rechenschaft geben, dass die Konstruktion wichtiger Personen des öffentlichen Lebens ein Irrweg der Demokratie ist. Grotesk, wenn Leute wie Bill Clinton Jahre nach ihrer aktiven Amtszeit riesige Rednerhonorare kassieren, obwohl ihre Einblicke in die Politik höchst übersichtlich sein dürften. Wann endlich erlöst man uns von diesem Personalzirkus, der sich vor die eigentlichen Fragen schiebt und vornehmlich Dunst produziert, der echte Aufklärung behindert.

Goedart Palm

10/06/2012

Moderate Dekonstruktion des Hauses an der Redoute


Klärwerk III - Künstlerfreunde Oktober 2012

10/05/2012

Zur moralischen Kunst der inszenierten Politik



Ein Text aus dem Archiv: In der »Kunst des Möglichen«, gilt es nach einem wohl von Augustinus eingeleiteten und bis heute unabgeschlossenem Diskurs als unmöglich, moralisch gut und zugleich praktisch erfolgreich zu handeln. Das scheint eine fragile Kunst zu sein, die doch das Mögliche möglich machen soll, aber gerade darin scheitert, das Moralische wirklich werden zu lassen. Aber leidet nicht auch die Möglichkeitskunst jenseits des Moralischen bereits an Zuständigkeitsschwund, wenn nicht gar ihre Daseinsberechtigung vollends in Abrede gestellt wird. Im Kontext von rechtlichen, ökonomischen, sozialen und wissenschaftlichen Zwängen reduzieren sich die »Möglichkeiten« freier politischer Gestaltung jenseits anderer gesellschaftlicher Agenturen.


Wird Politik nicht zunehmend auf das Reservat beschieden, das entscheiden zu müssen, was eben nicht zu entscheiden ist? Politik wäre danach »die Kunst des Unmöglichen«, da zu handeln, wo alle Hoffnung auf kognitive oder sonst rationalisierbare Entscheidungskriterien vergeblich sind. Wenn Risikofolgenabschätzungen und wissenschaftliche Politikberatung, Bioethikkommissionen oder ökologische Prognostik versagen, muss gleichwohl eine Entscheidung her, die auch der Zufall treffen könnte, wenn nicht die Legalität des politischen Verfahrens ungleich mehr Vertrauen bei Wählern auslösen würde.

Politiker wissen aus dieser Entscheidungsnot wie -armut eine Tugend zu machen und entdecken, wie Murray Edelmann sagt, die symbolischen Möglichkeiten ihres Metiers. Symbolische Politik inszeniert sich vor allem als Instrument des Machbaren und wer will schon entscheiden, was noch gesellschaftliche Gestaltung und was lediglich Glasur von fremddynamischen Kräften ist. Ob Kriegserklärungen, BSE, Wiedervereinigung, therapeutisches Klonen - das Verhältnis von politischer Tatkraft und aufgedrängtem Vollzug ist diffus. Politiker verwandeln ihre Einflussverluste in moralische Repräsentationsfunktionen, die nicht nur das Entscheidungsdilemma unsichtbar machen, sondern ihrer Selbstverwaltung und -erhaltung förderlich sind. Bei jeder politischen Entscheidung läuft das Problem des Machterhalts mit und es dürfte im Sinne dieser vitalen Funktion besser sein, die eigene relative Ohnmacht zu verbergen.
Nun wird die moralische Verortung von Politik zusätzlich dadurch erschwert, dass sich politisches Handeln nicht an die - etwa von der Systemtheorie verordnete - Aufteilung gesellschaftlicher Funktionsbereiche zu halten scheint. Ein vormals brisanter politischer Diskurs befand schlicht jedes individuelle Verhalten als politisch und verband mühelos das Private mit dem idiosynkratischen Weltgewissen. Zwischen Ozonloch und Spraydose, T-Shirt-Importen und Kinderarbeit, das moralisch konnektierte Weltgewissen akzeptiert keine moralfreien Ermessensspielräume, in die sich eine Kunst des Möglichen noch flüchten könnte.
Dieses fluktuierende Moment des Politischen ist indes nicht allein der weltbetroffenen Hypermoral vorbehalten, sondern Politik wird in fragilen Zeiten ihrer professionellen Handhabung auch von anderen Funktionsbereichen unterwandert. Die Anfeindungen gegenüber dem Bundesverfassungsgericht, das sich zu fast allen politischen Fundamentalentscheidungen erklären musste, belegen die Paradoxie, das politische Abstinenzgebot der Verfassungsjuridiktion zu wahren, wenn doch gerade politische Fundamentalentscheidungen erwartet werden. Hier hat das Grundgesetz selbst aus den Erfahrungen der Weimarer Republik eine Differenz verwischt, die permanenten Zuständigkeitsstreit über so hochmoralische Fragen wie Abtreibung, Kruzifixe in Schulen oder Parteiverbote garantiert.

Aber selbst Sachzwänge oder wissenschaftliche Kognitionen, die politisches Handeln verdrängen, existieren nicht a priori, sondern sind selbst Beobachtungen, die auch abgewiesen oder relativiert, mithin politisiert werden können. Das leisten etwa Technikfolgenkommissionen, die keine simple Schnittstelle von Wissenschaft, Forschung, Ethik und Politik sind, sondern schon politisch vorentscheiden müssen, welche Risiken oder Forschungsvorhaben überhaupt untersucht werden.

Mit dieser Art von politischer Diffundierung und Aufgabendispersion wachsen die Begründungszwänge gegenüber einer professionellen Politik, die sich längst nicht mehr auf die »Kunst des Möglichen« zurückziehen kann, wenn sie noch akzeptiert werden will. Die Rede von der »Kunst des Möglichen« löst überdies längst moralische Beklemmungen aus, weil historisch zu oft Handlungsräume entstanden, deren fatale Folgen später mit hohen Folgekosten repariert werden mussten. Inzwischen sind es weniger die moralischen Wüsten, die wachsen, als die technologisch und medial dynamisierten Probleme, die sich anarchisch gegenüber jeder ethischen Reflexion gebärden.

Moraldiskurse werden zum Alarmzeichen, wenn die Äquilibristik gesellschaftlicher Machtverteilung versagt oder gesellschafliche Risikopotenziale nicht mehr nachvollziehbar rationalisiert werden können. Die (Re)Moralisierung des politischen Feldes ist irritierend, weil das Verhältnis von Politik und Moral die Geschichte einer Entzweiung ist. Politik ist kein Moralvollzug und Moral reicht nicht aus, politische Entscheidungen zu begründen. Schon gar nicht gibt es einen Rekurs auf eine universalistische Moral, die Politikern das Geschäft erleichtern würde, eine Letztinstanz anzurufen, die das Wahre, Gute und Machbare versöhnt. Machiavelli steht für die Spannung zwischen einer Staatsräson, die sich von moralischen Prinzipien freizeichnet und einer moralischen Prätention, die wiederum den höheren Zielen der Staatsräson - etwa der Wahrung von Gemeinwohlinteressen gegen Individualinteressen - dient. Aber eine »amoralische Moral« oder wie Niklas Luhmann sagt, eine »höhere Amoralität«, passen zum wenigstens zu den Einsinnigkeitsprofilen, die der Bürger glaubt, der Politik abverlangen zu dürfen.
Die »Unterworfenen« mühen sich zumeist vergeblich, aber nachhaltig ab, hinter den symbolischen Inszenierungen die Moral von Politikern zu ermitteln, wenn es schon so schwer bis unmöglich erscheint, das moralische Potential der Politik selbst anzugeben. Wenn Politiker zum skrupulösen Untersuchungsgegenstand einer moralisierenden Öffentlichkeit werden, dann gilt: Trau, schau, niemand! Zugleich konterkarieren aber Medien diese Ermittlungen, weil Aufmerksamkeitsgewinne wichtiger sind als moralische Abschlussverfügungen. So mutierte etwa die Barschel-Affäre im Laufe der Untersuchungen schließlich zu einer Engholm-Affäre, was zwar die moralischen Verstrickungen nicht auflöste, aber je nach Tatsachenbewertung die moralischen Optionen offen hielt. Der mediale Untersuchungsmodus nimmt die Form des Skandals an, was Politikkontrollen vordergründig erheblich einfacher macht, als etwa nach den strukturellen Wirkungen politischer Entscheidungen zu forschen. Wird der Politiker auf die moralische Schaubühne seiner televisonären Inszenierung gezwungen, leidet darunter seine strukturelle bzw. institutionelle Macht, die ihn zuvor vor der Einswerdung mit dem Wähler relativ schützte.

Medien kennen keine Bannmeilen, sondern geben sich erst zufrieden, wenn ihnen die porentiefe Introspektion politischer Physiognomien gelingt. Längst mutieren auch klassische Institutionen wie Parlamente, Parteien oder Ausschüsse unter dem medialen Druck zu moralischen Lehranstalten, die populistische Inszenierungen vor ihre politische Arbeit stellen. Würde man nach einer Unmoral der Medien fahnden, wäre nicht das Ergebnis, dass Medien - wie Kreter - einfach die Unwahrheit sagen, sondern gesellschaftliche Wert- und Prioritätenkataloge, Verfassungen oder politische Ethiken in dem Schema »Aufmerksamkeit/Nichtaufmerksamkeit« beobachten. So wird etwa die Frage, ob ein Außenminister, der früher Polizisten geprügelt hat, noch tragbar ist, wichtiger als die Frage, welche Außenpolitik dieses Gemeinwesen verfolgt. Eine Talkschlacht zwischen Obama und Romney entscheidet über die Wahl, obwohl der Wähler längst weiß, dass er hier in diesem charismatischen Feld nur manipuliert werden kann und soll. 

Diese mediale Verarbeitung von Informationen avanciert gegenüber dem politischen Gestaltungswillen zum Supercode, dem sich Politiker beugen oder - untergehen.
Strukturelle Ermittlungen, die Medien regelmäßig schon deshalb nur bedingt leisten können, weil die Aufmerksamkeitsverluste regelmäßig prekär sind, bergen zudem die Gefahr, dass die Effekte politischen Handelns unabhängig von Intentionen, Motivationen oder gar der Moral der Akteure beobachtet werden können. Moraldiskurse könnten als sinnlos erkannt werden, weil sie zur Aufklärung über die »wahren Verhältnisse« nichts beitragen. Verfehlungen im Privatleben wie in der Amtsübung eröffnen dagegen wenigstens die gesinnungsethische Möglichkeit zu entscheiden, ob diese Art der Politik moralischen Maßstäben hinreichend genügt. Der Amtsträger fällt oder fällt nicht, aber die Politik kann unbeobachtet passieren - im Guten wie im Schlechten.
Wird dagegen die Moralisierung von Politik sowie die Politisierung von Moral auf der Ebene struktureller Herrschaft und ihrer Institutionen betrachtet, ist es weitgehend unerheblich, ob Politiker fehlsame Menschen sind, sie Eigennutz vor Fremdnützigkeit stellen oder politisch unkorrekt handeln. In ihren rechtlichen, institutionellen und zweckrationalen Bindungen wirken sich persönliche Verhaltensweisen marginal aus, weil die Moral der Entscheidung längst nicht mehr Akteuren überlassen wird. Das schließt zwar keinen Machtmissbrauch aus, aber augenscheinlich verkraften Gesellschaften die moralischen und ökonomischen Folgekosten korrupter Politiker, wenn das Rechtssystem politische Handlungsspielräume in seinem Legitimitätscode begrenzt. »Political Correctness« - wie die von George W. Bush eingeforderte Ethik seiner Regierungsmitglieder - gerät dagegen in den Verdacht, wieder nur den in heißen Wahlkämpfen verinnerlichten Glauben an eine medial inszenierte Politik zu predigen. Vielleicht könnte man das in seiner eigenen Logik unmoralisch nennen, wenn sich nicht auch hier außermoralische Institutionen durchsetzen würden, die zwar nicht vollkommen sind, aber sich zumindest nicht auf das fragile Moralbewusstsein von Menschen verlassen. 

Goedart Palm 
 

10/04/2012

KLÄRWERK III Kommentar Goedart Palm

Wer nach den politischen Gehalten unserer Kunst fragt, sei darauf hingewiesen: "Wenn die Art der Musik sich verändert, werden die Mauern der Stadt erzittern" oder im Original: "When the mode of the music changes, the walls of the city shake". Tuli Kupferberg

Und seht euch mal an, was von den Stadtmauern Bonns übrig geblieben ist...

Goedart Palm

10/03/2012

Klärwerk III Vernissage 03.10.2012 Fortsetzung


Hieroglyphen Hari(n)glyphen Eyptian Jazz Hommage Charlie Mingus - über Bilder zu schreiben ist meistens unergiebig, wenn es die eigenen sind. Gleichwohl oder unwohl: Eine schnelle Improvisation, einige Saxofonsolos, ein Bass, eine Melodie mit einigen Reminiszenzen und schon ist es vorbei, aber es braucht einige Zeit, um es zu lesen. Ägyptischer Jazz eben, in dem Sinne, in dem der Zöllner gegenüber Picasso von diesem Stil sprach.

Goedart Palm

Klärwerk III Vernissage 03.10.2012

Aus dem Klärschlamm gerettet von Goedart Palm

Klärwerk III Vernissage 03.10.2012 Vorwort Goedart Palm

Klärwerk III - 3. Oktober 2012 - Haus an der Redoute (Vorwort: Goedart Palm)

Liebe Gäste, liebe Künstlerfreunde, "Vorwort" ist eine Schreckvokabel, geeignet, selbst Wohlmeinende zu vertreiben. Denn im Ernst: Jahrzehnte lang haben wir Vernissagen besucht, in der Hoffnung, der schlechte Redner möge endlich, endlich aufhören und den Weg zum kalten Buffet frei machen. Und der Deutsche ist, wie Kurt Tucholsky vermerkte, der geborene schlechte Redner. Kunst und Religion haben eine gemeinsame dunkle Herkunft im Kult. In beiden Systemen kommt erst die Buße, dann die mehr oder minder weit reichende Erlösung. Hier Paradies, dort Petit four, Seelenheil oder Schnittchen. Das "Vorwort" ist die Bevormundung. Es klingt nach dem Zwang, sich sammeln zu müssen. Der Künstler dagegen darf sich in den Beliebigkeiten seiner Kunst ergehen und delirieren. Der Besucher muss reflektieren. Wie es scheint, ist das eine ungerechte Arbeitsteilung, wenn es keinen dritten Weg gäbe: Die kulinarische Vernunft. Im Rheinischen Landesmuseum Bonn, in jenen goldenen Siebzigern, als Staat und Gemeinden noch ein respektables Kulturbudget verprassten, präsentierten sich Vernissagen als Feste opulenter Gastronomie. Als Student fand ich diese Esshochkultur gegenüber der eingeborenen Mensaküche vorzugswürdig. So bin ich also zur Kunst gekommen. Was braucht es Eat-Art, wenn Feinkost-Käfer kommt? Mein heimlicher Verdacht seit jenen Tagen besteht weiterhin: Die kulinarische Vernunft könnte mehr als ein einfacher Ableger der ästhetischen Vernunft sein. Sollte sie gerade im Blick auf die gegenwärtige Kunst das überlegene Modell sein, die Welt sinnlich zu erfahren?

Der wichtigste Betriebsstoff, nicht nur des Kunstsystems, ist heute Aufmerksamkeit. Neulich hat Lady Gaga eine CD aufgenommen und war dabei angeblich - splitterfasernackt. M. E. beeinflusst das in beheizten Studios zwar nicht maßgeblich die Qualität der Songs - wenn die im Falle dieser Künstlerin überhaupt beeinflussbar sein sollte. Vor allem soll hier aber der Hörer lüstern aufgeheizt werden. Die Art der Produktion ist schon die Verkaufsidee. Hier wird eine Intimität suggeriert, die so viel "Gagabyte" hat, dass selbst das Internet kapituliert. Lady Gaga bleibt zwar nur ein Hörerlebnis, wenn es denn eines sein sollte. Doch die eigentliche Verheißung ist der erotische Mehrwert: ihr imaginärer Klangkörper. Das bieten wir heute hier - leider oder Gott sei Dank - nicht an. Klassische Vernissagen funktionieren aber ähnlich. Alles riecht nach Firnis, der Betrachter wähnt sich schon im Atelier und rückt dem Künstler auf die Pelle bzw. die Leinwand. Wenn er sie dann wenigstens kauft - und das gilt natürlich insbesondere hier und heute - ist das ein Schmerzensgeld für diese Aufdringlichkeit.

Obwohl der Gagaismus von unseren Dada- und Oberdada-Künstlerfreunden in Zürich, in Paris und nicht zuletzt in Brühl erfunden wurde, heißt von Lady Gaga zu lernen siegen zu lernen. Die großen Programme der Kunst verschwinden heute fast rückstandsfrei hinter der "Aufmerksamkeit" als der neuen Superkategorie künstlerischer Wichtigtuerei. Vormals hieß es großspurig, aber programmatisch: "Kunst ist Kunst" oder ein bisschen später "Kunst ist Antikunst", "Kunst ist Politik", "Kunst ist Leben". Mein Lieblingsspruch ist "Kunst ist autonom", will sagen: Mein Genie braucht Geld. Das klassische Selbstverständnis ist zu großen Teilen Geschichte. Alles ist irgendwann gleich gültig, so gleichgültig uns das an der Kunst oder anderenorts vorbeigeht. Das neue Existenzrecht der Kunst beruht primär auf Lärm, Finanzspekulationen und heiß laufenden Institutionen, in denen einige unserer Vettern sitzen. Großer Ideen, besonderer Sensibilitäten oder weltumspannender Betroffenheiten bedarf es da nicht. Es reicht hier, wenn der Künstler klarstellt, dass er darüber im Übermass verfügt. Wir haben das auch behauptet und zumindest der General-Anzeiger hat es regelmäßig gedruckt.

Platon würde sich freilich im Grabe umdrehen. Denn solche Unterstellungen sind im Täuschungsgeschäft der Kunst bereits eine Illusion zweiter Ordnung. Früher malte der Maler Zeuxis Trauben täuschend echt, schlimm genug, wie Platon fand. Heute behauptet man, die grünen Flecken seien so authentisch wie innovativ auf der Leinwand verteilt, dass der Betrachter nur richtig hinschauen müsste, um es dem Künstler nachzufühlen - oder nachzusehen. Der Sieg der Interpretationsherrschaft im Kunstgeschäft ist höchst praktisch, weil keiner das Gegenteil beweisen kann. Kunst wäre dann ernst zu nehmen, wenn es auch Nichtkunst gäbe. Wie aber etwas Nichtkunst sein kann, wenn es doch an der Wand hängt, einen Rahmen hat und manchmal sogar pfeift, vermag mir keiner zu erklären. Im Gegenteil: Kunstmuseen finden ihre antiquierte Daseinsberechtigung darin, den Unterschied zwischen Kunst und Nichtkunst aufzuheben, weil nur ihre Institution den Unterschied markiert. Das ist nicht mehr zeitgemäß, weil das gegenwärtige Stichwort „Inklusion“ heißt. Im Sinne der Gleichheit der Künstler und der Gleichgültigkeit gegenüber aller und jeder Kunst sollte es also heißen: Alle Kunst muss in die Anstalt - will sagen: in das Museum. Jene aber, die meinen, die Qualität der Kunst spiele hier doch noch eine Rolle, kommen nur so voll auf ihre Kosten bzw. die Kosten des Steuerzahlers. Denn die große Kunst müsste sich doch gerade im Vergleich mit dem künstlerischen Abfall, der nun neben ihr hängt bzw. verschimmelt, als groß erweisen. Jonathan Meese meint das ernsthaft - Zitat: „Ich leide darunter, dass mir irgendwelche Skulpturen als Kunst verkauft werden, aber in Wahrheit Design sind. Ich leide darunter, dass mir beschissene Malerei gezeigt wird, die in Wirklichkeit hochgepushte Illustration ist.“ Von eben diesem und 1001 anderen Leiden berichten nun andererseits wiederum Leute, die Meese-Ausstellungen besuchen und die vom Künstler apostrophierte "Diktatur der Kunst" für eine der bloßen Willkür halten.

Was wiederum lernen wir daraus?

Wer die "Diktatur der Kunst" verkündet, macht damit vor allem klar, wie völlig bedeutungslos Kunst - zumindest hier im Westen - geworden ist. "Pussy Riot" funktioniert als künstlerischer Aufruhr nur deshalb, weil ein autoritäres Regime noch nicht kapiert hat, dass Toleranz die beste Droge ist, um politische Kunst einzuschläfern. Würde die Kunst hierzulande die Verhältnisse diktieren, wäre sie weder auf Manifeste noch Beschwörungen oder gar den so hochoriginell provokanten Hitlergruß Meeses angewiesen. Man kann heute über jedes Kunstwerk fast alles sagen. Deswegen sage ich über die hier hängenden, liegenden und ermatteten Schönheiten gar nichts. Der Künstlerfreund Dieter Roth hat seine Sicherheit in der nicht mehr ganz neuen Unübersichtlichkeit als ein fortgeschrittenes Freiheitsmodell erkannt: "In der Unsicherheit kann man alles machen, was Du willst, schmieren, pissen, quatschen und auch Kitsch machen."

Vor ein paar Tagen las ich, dass hier in Bad Godesberg "gegenstandslose Künstler" ausstellen. Nach einer Schrecksekunde, hier würde bereits öffentlich gegen Klärwerk III polemisiert, beruhigte ich mich. Die Gegenstandslosigkeit der Kunst ist ja längst keine bloße Stilkategorie mehr, sondern beschreibt das Tun aller unserer Künstlerfreunde gleichermaßen und flächendeckend. Das hat keiner so gut erkannt wie Kardinal Meisner. Angesichts des leibhaftigen … Gerhard-Richter-Fensters im Kölner Dom stellte er fest, es sei zu abstrakt und nicht spezifisch christlich. Das bunte Glas passe eher in eine Moschee oder in ein Gebetshaus. Der Künstler konterte. Er hielt dem ungehaltenen Kardinal vor, dass er sich mit diesem Bild dem Christentum gerade nahe fühle. Die eigentliche Pointe lieferte aber lange vor dem künstlerischen Glaubensstreit der Kritiker Eduard Beaucamp. Er sagte über Richter: "Das artistische Spiel mit fast allen zeitgenössischen Modalitäten ist der einzige Sinn und Inhalt seiner Kunst.“ Ich übersetze das mal für Meisner, Richter, den Rest unserer Künstlerfreunde und alle Anwesenden so: Das, was an der Wand hängt, stört selten. Nur Menschen mit einer echten Standortbindung im mehrfachen Wortsinne wie der Kardinal nehmen Kunst noch wirklich ernst.

"Des Kaisers neue Kleider" treffen diesen fröhlichen Sachverhalt künstlerischer Selbstauflösung schon lange nicht mehr: Denn jeder darf nun für sich selbst entscheiden, ob er Kleider sieht oder nicht. Kindermund ist inzwischen so unberufen wie alle anderen Schiedsrichter auch, wenn es um die Wahrheit in der Kunst geht. Und wem das noch nicht reicht, der darf sogar behaupten, dass es zwischen textilen und nackten Oberflächen gar keinen Unterschied mehr gibt. Auch das hat Lady Gaga bereits bewiesen: Bei einer Preisverleihung trug sie jüngst ein Kleid aus Rindfleisch, das anschließend - logisch! - in das Kunstmuseum wanderte. Als das Fleisch dann dort so dunkel wie ein lange abgehangener Rembrandt wurde, hat man es angemalt, damit es wieder frischer aussieht. Künstlicher können die Verhältnisse der Kunst kaum mehr werden.

Also fundamentalästhetisch gefragt: Ist das Kunst oder kann das weg? Die Ironie des Spruchs besteht darin, dass er seine Ironie längst eingebüßt hat - wenn er sie überhaupt je hatte. Es beginnt vielleicht mit der Badewanne, die der SPD-Ortsverein Leverkusen-Alkenrath als Recycling-Spüle für Biergläser einsetzte und von der Joseph Beuys hinterher behauptete, das sei doch Kunst, echte Kunst. Also die Badewanne, nicht das Bier-Happening. Der wichtigste Beuys-Schüler Johannes Stüttgen, der vor Jahren übrigens an einer legendären Klärwerk III-Ausstellung teilnahm und somit unser aller Künstlerfreund ist, kassierte 40.000 DM für eine in der Kunstakademie Düsseldorf beschädigte Fettecke des Meisters. Ich habe die teure Ecke vor ihrer Demontage live im Beuys-Atelier gesehen und gar nichts dabei empfunden. Mir selbst erschien es bei Umzügen mehrfach praktischer, Kunstwerke lieber sofort dem städtischen Sperrmüll zu übereignen, wenn das Museum seine Pflicht versäumt. Dass zwischen Museum und Müllverbrennungsanlage die Beziehungen so zufällig wie dicht beieinander verlaufen, wissen die allermeisten Künstler. Der Meister auch dieses Wissens war Beuys, den ich mal lässig live sagen hörte: „Wenn sie wollen, kann ich Ihnen meinen Mist signieren.“ Erst wenn man dieses meisterliche Niveau der Selbstvermistung, will sagen: Selbstvermarktung, erreicht hat, kann man Kunst wieder ernst nehmen.

Klärwerk III besteht seit 30 Jahren auf unsauberen Verhältnissen. Der Futurist und spätere Minister Mussolinis, Filippo Tommaso Marinetti, forderte im Vorgriff auf diese Situation: "Leitet den Lauf der Kanäle um, um die Museen zu überschwemmen!" Gehen wir mal davon aus, dass er Abwässerkanäle meinte. Daraus lassen sich dann zwei Schlüsse ziehen: 1. Museen ohne Klärwerk-Kunst sind - wie etwa im Fall des Bonner Kunstmuseums - kunsthistorisch betrachtet ein unentschuldbarer Irrtum, geradewegs Irrläufer künstlerischer Evolution. 2. Man kann nicht wahre Kunst machen, ohne sich die Finger, Hemden, Hosen und Schuhe schmutzig zu machen. Weniger klärschlammtechnisch formuliert und - um ein viel zu oft zitiertes Wort von Adorno noch weiter zu missbrauchen: Der neue, also der saturierte Idealismus besteht darin, weder von der Kunst der anderen noch von dem eigenen Mist sich dumm machen zu lassen. Wenn nicht Klärwerk III, wer dann kann die Zuständigkeit für diese Art von Selbstreinigung reklamieren?

Wenn es Ihnen also heute hier gelingt, sich von der Kunst nichts vormachen zu lassen, haben Sie alles - missverstanden, was ich Ihnen schon immer mal sagen wollte.

Ich danke Ihnen für ihre relative Aufmerksamkeit.

Goedart Palm

10/01/2012

Selbst eine Entgleisung Sloterdijks

wäre allemal philosophisch relevanter als eine Sentenz Prechts. Wann verabschieden wir endlich diese Medien der Gleich-Gültigkeit? Goedart Palm

No reply - der Spiegel antwortet nicht

Am 28 Sep 2012 um 13:07 hat mir DER SPIEGEL geschrieben: Ich solle teilnehmen und mir ein Dankeschön sichern. Es geht um eine Meinungsanfrage, ob digitale "Inhalte immer seriös und verlässlich" seien - "oder ersetzt Quantität zunehmend Qualität?" Wenn ich bei der großen Umfrage mitmache, kann ich mir ein exklusives Dankeschön-Paket mit fast 9 % Ersparnis sichern. Außerdem gibt es ein Geschenk. Man würde sich auf die Antworten freuen, auch wenn man auf das "Dankeschön-Paket" verzichte. So mit herzlichen Grüßen Stefan Buhr. Ich mag keine Vorzugs-Abos, die als Leserbefragung einhergehen. Und schon gar mag ich ein Dankeschön, das mit einer Ersparnis verbunden ist. Ich schreibe also:
Sehr geehrter Herr Buhr, vielen Dank für Ihre Mitteilung. Solche "Leserbefragungen" sind unseriös. Denn geht es Ihnen darum oder um das Abo? Auch die Semantik des "Geschenks" passt gar nicht, sondern hier geht es um ein Vertragsangebot oder eine Einladung dazu. Sie vermischen hier Sachverhalte. Klar kann man augenzwinkernd sagen, das wissen wir doch beide, also vergessen wir es. Was aber, wenn diese Haltung letztlich auch Rückschlüsse auf ein journalistisches Ethos eröffnet? Mit freundlichen Grüßen - Dr. G. Palm -

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