12/26/2009

Sissi - Sissi - Sissi

Betrachte ich diesen Müßiggang bei Hofe, wird mir klar, dass selbst solche Schmonzetten höhere Wahrheiten mit sich führen. Wenn man sich nach Nietzsche die Hände auch in schmutzigem Wasser sauber waschen kann/soll, muss man auch gewillt sein, in den tiefsten Niederungen des deutschen Kitsches - dazu gehört freilich Sissi nicht, so viel Gerechtigkeit muss sein - auf die unhintergehbare Wahrheit zu stoßen. "Umsonst geschieht nichts auf dieser Welt", sagt der Vater von Sissi (Gustav Knuth) und spätestens jetzt wissen wir, dass er Hegelianer ist. Entschädigt das nicht für alle aufdringlichen Dummheiten? Der Kitsch mag das Böse im Wertsystem der Kunst sein, in seiner Unwahrheit erraten wir die Wahrheit...

Goedart Palm

12/25/2009

Wärmetod der Information

Das Gerede von der Informationsgesellschaft ist so antiquiert wie falsch, die Rede vom Web 2.0 ist eine euphemistische Nebenerzählung. Die eigentliche Zäsur wird der Wärmetod der Information sein, niemand interessiert sich für irgendwas, was jenseits seiner interaktiven Reichweite liegt. Gewiss, das ist nicht leicht zu definieren, aber ebenso ist es grotesk, welche Informationen uns Aufmerksamkeit abverlangen, während wir längst wissen, dass wir jenseits dieser Erfahrung keinerlei Effekte verbuchen. Die politische Aufmerksamkeitsgesellschaft ist aber eine Fiktion der Mainstream-Parteiprogramme, die immer noch zu erfolgreich suggerieren, von der Aufklärung führe ein Weg zu politischen Partizipation und das - eine logische Sekunde später - verbessere die gesellschaftliche Konfiguration. Der Mechanismus ist viel komplexer, aber das zu wissen, würde die Partizpanden zu sehr verunsichern, als dass man es ihnen so ungeschönt vermitteln könnte.

Goedart Palm

12/19/2009

René Crevel und andere Verdächtige

„Je suis dégouté de tout“ -„Alles ekelt mich an“, so
René Crevel 1935. Inzwischen heißt das burn-out oder Depression, es hat Pathos verloren. Als literarische Produktivkraft sind solche Zustände nicht mehr zu gebrauchen. Die literarische Mode verträgt nicht jede kreative Pathologie. Der Surrealismus war eine kollektive Therapieform und daher trotz aller Irrungen eine humane Kunst. Nicht in diesem abgeschmackten, moralisch überladenen Sinn, sondern als "kathartische" Spielwiese, die vormals verfemte und mehr noch vormals unbekannte Stimmungen zugelassen hat zur produktiven Verwendung. Die Infantilität des Surrealismus wiegt demgegenüber gering. In einer Zeit, in der künstlerische Kollektive, wie eng oder lose jene historischen gewesen sein mögen, überhaupt nicht mehr kennt, werden kollektive Befreiungen unwahrscheinlicher. Wenn Jonathan Meese libidinöse Entäußerungen in der Kunst findet, wird daraus keine gemeinsame Form. Kunstbetrachtung ist insbesondere in ihrer musealen Langweiligkeitsform eine impotente Erscheinung gegenüber den Unruhe stiftenden Vorvätern, die noch an eine Kunst glaubten, die den Nerv der Gesellschaft trifft. Die fortschreitende Individualisierung der Kunst reduziert ihre kollektivierende Kraft, selbst wenn es sich um versprengte Gruppen, Avantgardisten eben und den bemühten Bürgerschrecken, handelt. Das kann man nicht wünschen oder für wünschbar halten, sondern nur als Kriterium begreifen, dass Kunst jenseits ihrer systemischen Schließung diverse funktionale Varianten bietet, die sich nicht nur auf die Produktion von Erwartungsenttäuschungen oder Ähnliches richtet. Die Funktion der Kunst ist nicht anzugeben, weil sich mit ihren produktiven Anlässen und Formenreichtum zahlreiche Funktionen verbinden können.

Goedart Palm

12/13/2009

Verhangene Visionen - Festspielhaus Bonn

Stadtdirektor Dr. Volker Kregel, Projektleiter für das Festspielhaus in der Stadtverwaltung, "unterstütze die Intention der Stadt, Menschen aller Generationen innerhalb und außerhalb Bonns auf dem Weg zum Festspielhaus mit zu nehmen. Vor allem junge Menschen müssten für die Vision des Projektes fasziniert werden: ´Es geht um die Zukunft der Beethovenstadt Bonn´." Der Begriff "Vision" ist hochtönend. Vermutlich spielt er besonders dann eine Rolle, wenn die Visionen nicht mehr so recht gelingen wollen und man auf die appellative Restfunktion des Begriffs hofft. Sollte das "Festspielhaus Bonn" je eine Vision gewesen sein, ist es jetzt keine mehr. Was jeder Komponist zu beachten hat, die dem Werk je eigene Zeitlogik, ist hier längst verlassen worden. "Visionen", die in verquasten Diskussionen mit Hin- und Her-Logiken, Schritten vor und zurück, zerredet und in die administrativen Sümpfe versenkt werden, begeistern niemanden. Sollte es eine Bürgermeinung geben, könnte die schon bald zum Ausdruck bringen, dass man auf die "Mitnahme" unter solchen Vorzeichen verzichtet. Visionen haben ihre je eigene Kraft, die Statthalter der hiesigen Vision vermögen aber nicht ansatzweise ihre vorgebliche Begeisterung zum Ausdruck zu bringen. Sollte es so sein, dass das Pathos Beethovens unter die Politiker, Kaufleute und Reklameterminologen gefallen ist und nun - wen wundert´s - ohne infektiöse Kraft bleibt?

12/11/2009

Brainstorming - hier wurden unsere Pläne geschmiedet



Goedart Palm

Beethoven und Klärwerk III - ein alte Allianz


Quod erat demonstrandum - eine mediale Wahrheit

Klärwerk III - Bonns Traditionskünstlergruppe




Besucht die Ausstellung von Klärwerk III im Künstlerforum Hochstadenring - Weltpremiere Rockenfeld!

Klärwerk III Rockenfeld - die Eröffnung, 11.12.2009

Wer heute nicht im Künstlerforum gewesen ist und einige von Euch sind ignorant genug gewesen, dieses Ereignis nicht zu notieren, hat eine Vernissage der Superlative verpasst. Die anderen können dann später ihren Enkeln und ggf. Altenkeln sagen: "Auch ich bin dabei gewesen." Die Liste der Promis schenken wir uns. Werner Götzinger hat eine sehr einfühlsame Rede gehalten, die neben den aktuellen Beiträgen auch die Geschichte der Bonner Künstlergruppe "Klärwerk III" darstellte. Bald wird diese Gruppe 30 Jahre alt sein, ohne dass wir glauben könnten, die Kunst von Klärwerk III wäre dabei auch alt oder ältlich geworden. Auch wenn in personam die Vergreisung nicht aufzuhalten ist, so sollen alle diese Kunstwerke jener alten Formel "ars longa, vita brevis" folgen, um darin - wie immer - dem allfälligen Untergang ein Schnippchen zu schlagen. Noch sind einige Tage Gelegenheit, diese Show der Shows im Künstlerforum, Hochstadenring 22 - 24, Bonn, zu sehen. Sagt später nicht, wir hätten euch nicht belehrt...

Goedart Palm

12/06/2009

Mozart als Nordsee Mitarbeiter


Das kongeniale Verhältnis von Hoch- und Alltagskultur.

Alfred Hrdlicka - Memorial Sketch


06.12.2009



Goedart Palm

Alfred Hrdlicka - In memoriam


In memoriam Alfred Hrdlicka

Botho Strauß - eine Farce

Es ist die älteste Kulturkritik: Die Zeiten werden schlechter, alles versinkt im Sumpf, meine Raffinements oder wahlweise auch meinen Differenzierungs- und Kultivierungsgrad wird diese Menschheit nie mehr besitzen. So jammerten viele, vor allem, wenn sie alt geworden waren und die Zeiten längst an ihnen vorbei gegangen waren, während sie noch wähnten, die Zeiten wären an ihnen niedergesackt. Botho Strauß ist der erste Klagemeister dieses Landes. Was er sagt, ist nicht originell, muss es auch nicht sein, aber es ist in den Aphorismus versenkt, auch nicht wahr. Es sind die Klagen, die einige Feuilletons so langweilig machen, wie sie nun mal sind. Dass die Menschheit zur Selbstkultivierung in diesem Sinne höherer Sensibilität berufen sei, ist ein gravierendes Vorurteil. Menschheit - ein humoristische Rolle, hatte Novalis gesagt. Doch wie viel weniger humoristisch als behelfsmäßig, chaotisch, notdürftig. „Das Leben ist seinem inneren Wesen nach ein ständiger Schiffbruch. Aber schiffbrüchig sein, heißt nicht ertrinken.“ (Ortega y Gasset) Das alles fasst sich in die Unabdingbarkeit des Gelingens, das nicht nach "sophication" schreit, sondern nach Ergebnissen. Leute wie Botho Strauß begreifen wohl kaum, dass es Differenzierungsweisen gibt, die über ihre Lichtjahre hinausgehen, weil ihre Fantasie immer nur auf den abblätternden status quo gerichtet ist. Wer im Internet schreibt, reflektiert nicht zwingend auf Ewigkeit, Xenien oder andere hochmögende Anlässe. Was mich persönlich ehrlich erstaunt, ist das Interesse für diese Art der tönernen Kulturkritik. Strauß zehrt von zorniger Restpostenverwaltung. Darin erscheint er uns nicht als Konservativer, sondern als Lamentierer, der ohne Verständnis bleiben will - das aber aus fester Überzeugung. Der Kulturpessismus ist eine immerwährende Mode, die regelmäßig die kognitive Schwäche der "Klauselverwender" anzeigt. In Deutschland ist diese Mode regelmäßig mit Untergangsgerede verbunden, das in einigen Fällen konkrete Gestalt angenommen hat.
Dass uns nun dieser Kulturwahrer vor "Gemeinplatzbewachern" glaubt warnen zu müssen, ist eine Paradoxie, die zu diesem von Strauss vorgeblich so perhorreszierten Kulturbetrieb doch idealiter passt. Verachtung der Verfallskultur ist ein Standpunkt, leicht zu beziehen, leicht zu begründen. Allein warum sollen wir das ein ums andere Mal lesen?

Goedart Palm

Botho Strauß: Vom Aufenthalt. Carl Hanser Verlag, München 2009, 295 Seiten. ISBN-10: 3446234411. 19,90 Euro

12/05/2009

Klanggrund - Impression Ludwig van B.



Mehr unter http://www.goedart.de/buehne_frei_ii.htm

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Eine gemischt "real-virtuelle Zeichnung" - vgl. unter www.goedart.de

Was heißt Aufmerksamkeitsgesellschaft?

Die Aufmerksamkeitsgesellschaft funktioniert wie ein inflationäres Universum. Die Abstände zwischen den Dingen werden aufmerksamkeitslogisch immer größer, weil die vormaligen Zwischenräume immer stärker "informiert" werden. Das Interesse wird im Blick auf die wuchernden Daten sukzessive schwächer. Endpunkt: Niemand interessiert sich für irgendwas. Dieses Ereignis ist indes nicht ohne technische Vorkehrungen denkbar, das Interesse wird zu einer Subfunktion der Apparaturen.

Goedart Palm

12/04/2009

Klanggrund aka "Bonner Loch" - Wer hat´s erfunden?

Der GA berichtete auch heute wieder zum "Klanggrund" als neue Idee der Stadt in Kooperation mit dem Theater und der Brotfabrik (Lokales Bonn, S. 23 v. Frank Vallender).
 
Am 30. August 2008 haben wir beim Eröffnungsfest des Beethovenfestes zum ersten Mal den "Klanggrund" gegen manche Bedenkenträger aus der Taufe gehoben. Nun hoffen wir auf ein Angebot der Veranstalter, hier auch die musikalische Jugend aus Bonn präsentieren zu dürfen. Deshalb nachfolgende Mitteilung - ob für einen redaktioneller Beitrag, oder als Leserbrief überlasse ich gern Ihnen. 
 
Solange wir uns noch gute "Gründe" für "Klang" schaffen, herrscht noch das Prinzip Hoffnung: dass Kultur für alle Menschen da ist, und sie manchmal auch da abholen kann, wo sie es vielleicht gerade am dringendsten brauchen, das wurde vor 15 Monaten zum ersten Mal im "Klanggrund" bewiesen. Gegen mancherlei Bedenken wurde zur Eröffnung des Beethovenfestes 2008 der Standort vor dem Bahnhof mit dieser Bezeichnung als eine von sieben Bühnen der Open-Air-Veranstaltung "Bühne frei für Beethoven"  aus der Taufe gehoben - mit großem Erfolg!
 
Der General-Anzeiger schrieb dazu am 29.8.2008 im Feuilleton unter der Überschrift "Auch der Bahnhof wird bespielt" im Text: "Ein neuer musikalischer Standort ist der 'Klanggrund' statt Bonner Loch. Auch die mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisenden Besucher der Stadt sollen an diesem Samstag mit Musik empfangen werden. Deshalb gibt es erstmalig auch an der Bahnhofsunterführung einen 'Klanggrund' im doppelten Sinne. Mehr als 100 musizierende Schülerinnen und Schüler präsentieren hier mit sechs verschiedenen Ensembles die einladende Beethovenstadt Bonn... Solveig Palm ... organisiert den Auftritt von rund 750 Schülern und 300 Musikschülern...".  
Auch die WDR-Lokalzeit hatte dies zum Anlass genommen, aus dem "klanggrund" erstmalig über das Eröffnungsfest zu berichten.
 
Auch zum Beethoven-Eröffnungsfest in diesem Jahr am 5. September gab es wieder den "Klanggrund" - in diesem Jahr moderiert durch den damaligen Leiter der Gesamtschule Beuel. Wir freuen und bedanken uns, dass er in seiner neuen Funktion als Oberbürgermeister unsere Idee, Bonn-Besucher an dieser Stelle mit Musik (bzw. Kultur) zu begrüßen, aufgegriffen hat und wünschen uns nicht erst für das nächste Beethovenfest, dort wieder mit der musikalischen Bonner Jugend präsent sein zu dürfen, um unter Beweis zu stellen, dass es viele (menschlich durchaus notwendige) "Gründe" für schönen "Klang" gibt  - übrigens auch für ganze Orchester, die in Zukunft in der Beethovenstadt beheimatet oder zu Gast sein sollen. Musik ist unsere Zukunft, denn ebenso schlimm, wie die materielle Armut ist die seelische.
 
Viele Grüße
von Solveig Palm
 
Ludwig vanB.
Netzwerk Schule und Kultur für
musikalische Jugendarbeit in Bonn
- Projektkoordination -
Dr. Solveig Palm
Ulrich-von-Hassell-Str. 44
53123 Bonn
Tel./Fax: 0228-9250209
email: solveigpal@aol.com
www.LudwigvanB.de

11/28/2009

Bürgerbefragung Festspielhaus Beethoven

Zur „Demokratisierung“ des Festspielhauses Beethoven

Kunst und Demokratie sollten in den siebziger Jahren zusammenkommen. Wenn eine Gesellschaft mehr Demokratie wagen sollte, wieso sollte das nicht auch für die "Kunst" gelten? Schnell differenzierte sich dieser Diskurs: Eine Mitbestimmung in künstlerischen Angelegenheiten sei nicht akzeptabel. Der Künstler müsse in seinen künstlerischen Entscheidungen frei sein. Doch Rahmenbedingungen künstlerischer Praxis seien demokratiefähig. Diese einfache Dichotomie harmonisierte nicht alle Probleme. Wie sieht Mitbestimmung in der Oper aus? Lassen sich hier oder im Theater künstlerische und nichtkünstlerische Inhalte gut trennen? Diese Verbindungslinie zwischen Kunst und Demokratie blieb fragil und war kaum je geeignet, notwendige oder auch nur plausible Entscheidungen zu begründen. Die Diskussion um das Bonner Festspielhaus "Beethoven" ist nun auch an diesen Punkt gelangt. Eine Volksabstimmung über Bau oder Nichtbau soll die Frage sein. Ob es nicht edler im Gemüt wäre, künstlerische Kriterien gegen eine Mehrheit zu verteidigen, brauchen wir also gegenwärtig nicht mehr zu entscheiden. Die Abstimmung über den Musentempel quadriert den erlauchten Zirkel. Denn die dort repräsentierte Kultur ist die eines kleinen Kreises, den dieser Kreis freilich aus mehr oder weniger beachtlichen Gründen erweitern möchte. Würden Mehrheitsargumente oder Bedarfskriterien zählen, wäre historisch nicht viel Kultur entstanden. Vermutlich hätten sich Sklaven nicht zum Bau der Pyramiden bewegen lassen. Aus diesem Argument ist weder für die gegenwärtige Existenz der Pyramiden noch für die Frage, ob man noch mehr Kultur produzieren soll, wenn die Grundbedürfnisse anderer Menschen unbefriedigt bleiben, viel zu gewinnen. Kultur ist Luxus, was sich nicht erst im Blick auf das globale Chaos von Not und Armut erhellt. Insofern sind Kulturausgaben regelmäßig mit moralischen Hypotheken belastet, was den Genuss des kulturbeflissenen Publikums differenzieren sollte. Andererseits hilft Kultur vielleicht bei der Besserung und Erziehung des Menschengeschlechts, sodass auf sehr indirekten Wegen die Kultur doch ihre eigene Art von Notwendigkeit behaupten darf.

Statt allerdings diese schwer bis nicht entscheidbaren Fragen nach der kulturellen Fundierung von Gesellschaften zu wälzen, könnte man hier schlicht nach möglichen Verlaufsformen und Effekten der Abstimmung fragen. "Die Bürgerschaft einbeziehen - Wichtig ist, dass die Bürgerinnen und Bürger auch weiterhin auf dem Weg hin zur Realisierung „mitgenommen“ werden. Dieses wird nur dann erfolgreich, wenn die Bürgerschaft es auch akzeptiert und sich beteiligt fühlt", heißt es auf der Website von Markus Schuck, des Obmanns der CDU-Ratsfraktion im Kulturausschuss. Das ist einvernehmlich und konsensorientiert formuliert, doch die Schräglage einer solchen Mitbestimmung wird hier ausgeblendet. Einem größeren Teil der Bürger dürften Existenz oder Nichtexistenz eines Festspielhauses keine Nachfrage wert sein. Wenn es gelingt, breite Kreise überhaupt zu einer Reaktion zu bewegen, wird die Abstimmung negativ ausfallen. Wer wenig Geld in der Tasche hat, hat wohl kaum Sympathie für Kulturprojekte, an denen er letztlich eher nicht partizipieren wird. Klassik hat, von einigen Prestigeveranstaltungen abgesehen, nur eine kleine Fangemeinde. Warum keine Rock-Arena? Warum kein Sport-Stadion? Wer wie Nimptsch demokratisieren will, gerät in diesen Begründungsregress.

Einige vertrauen auf die Gunst der Bürger, weil die diversen Beteiligten versichern, dass die Stadt Bonn keinen Cent für das fürstliche Haus zahlen wird. Hier wird mal wieder die Zukunft antizipiert. Kostenfallen existieren, wie es unzählige Bauprojekte demonstrieren, zahlreich. Im Übrigen ist das Argument, dass das Festspielhaus nichts kostet, auch kein Plädoyer für die Kunst, sondern eine bloße Beschwichtigung. Ein echtes Bekenntnis zu Kunst und Kultur sieht völlig anders aus. Wenn der Bürger nach sachlichen Kriterien entscheiden soll, dürfte die Beteiligung an der demokratischen Kultur auch nicht weit reichen.

"Wie viel Festspielhaus hätten Sie denn gern", führt uns zu der Frage zurück, wie viele Pyramiden kulturell wünschbar sind. Denn wenn auch notwendige Kapazitäten der Kultur beschworen werden, lässt sich im Zeitalter der virtuellen Reproduzierbarkeit per Internet und Silberscheibe daraus kein überzeugendes Argument gewinnen. Vermutlich lässt sich das Festspielhaus argumentativ überhaupt nicht rechtfertigen: Man macht es oder lässt es. Der Rest ist Palaver. Denn welche Entscheidung man auf welchem Wege, plebiszitär, kommunalparlamentarisch oder verwaltungsbürokratisch, auch trifft, ändert doch nichts an der Konsequenz, dass irgendwer hinterher immer weiß, dass man es hätte anders machen müssen. Die Diskussion um das Festspielhaus ist gefährdet, sich zu einer Farce zu entwickeln, weil die Qual der Entscheidung nun durch Eiertänze ersetzt wird, denen nicht abzulesen ist, ob es sich bereits um Absetzbewegungen einiger vormals Entschlossener handelt oder kulturelle Zahnlosigkeit. Kultureller Enthusiasmus sieht jedenfalls anders aus. Zum Bild einer administrativ zähen Kulturpolitik passt die gegenwärtige Entwicklung indes schon - mit oder ohne Abstimmung.

Dr. Goedart Palm

11/19/2009

Frank Schirrmacher - Payback

Es ist der ewig gleiche Diskurs: Die Gefahren sind groß, der Vorzeichen gibt es viele, auch mir ist schon ganz flau. Halt, da ist ein Weg. Der ist gepflastert mit guten Vorsätzen, Vernunft, Verstand, Hoffnung etc. Und ehe man sich versieht, hat Frank Schirrmacher wieder ein Buch geschrieben. Würde man diese Texte archivieren, müsste man etikettieren: Voluntaristisch angereicherte Halbwahrheiten.

Goedart Palm

11/18/2009

Freiheit und Tod


Eine sardanapalische Interferenz nach und mit Delacroix

11/15/2009

Genealogie eines Blitzes


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Picasso - eine Variation

Markus Lüpertz - eine Minimeditation


Heute, 15.11.2009, führt Markus Lüpertz durch seine Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn. Zwar ist seine narzisstische Grundierung in der Selbstbetrachtung erkennbar, aber dabei ist er gleichwohl unprätentiös. Insofern kann er über seine Bilder unangestrengt reden, ohne je in einen Kraftmeier-Gestus zu verfallen. Der Erfolg dieses Malers jenseits seiner Malerei ist seine kommunikative Kraft, die mehr Differenzierungen besitzt als die mediale Gestalt „Markus Lüpertz“. Er sägt Gliedmaßen ab, wenn es den Gewichten dient. Es gehe ihm nicht um Abstraktion, sondern um eine Ebene der Neuerfindung. Immerhin gibt es fast durchgehend den Hang zur Figur, die dann malträtiert, verformt, leidend erscheint. Kann man den malerischen Blick so weit abstrahieren, dass die Form nicht abstrakt, sondern anders, neuschöpferisch ist? Die provokativen Momente dürften nicht zufällig sein, auch wenn sie auf Wahrnehmungsschwächen des Publikums zurückzuführen wären. Das Spiel mit der Tradition ist eben eine Dekonstruktion, die alles das liefert, was Maler braucht, um Wirkungen zu erzielen. Insofern ist Lüpertz ein gutes Beispiel für eine integrale Malerei, die viele „layers“ übereinander legt, auch hier Bedeutungslasuren und formale Lüste ineinander verschachtelt…

Konstanze (Palm) will sich ein Autogramm holen und der Meister schenkt ihr eine kleine Zeichnung.

Goedart Palm

11/14/2009

conditio humana - Madagascar 2

Sicher ist es nicht paradox, in einem Tierfilm nach menschlichen und sozialen Eigenschaften zu fahnden, so wie uns Fabeln just diesen Trick vorführen. Das fabulöse Tier ist eindeutiger in seinen menschlichen Eigenschaften, weil wir hier entdifferenzieren dürfen, um den Kern menschlicher Verhaltensweisen, Liebe, Hass, Gier, Dummheit etc., zu begreifen. Insofern ist der tierische, also in der Fabellogik: menschliche Verhaltenskomplex von einiger Logik, allein die Frage, wie das Groteske eingeordnet werden kann, bleibt bestehen. Das Popcorn-Kino in seinen abstrusen Überschüssen ist leicht wahrzunehmen, aber was fasziniert hier eigentlich? Hinter den emotionalen Grundfiguren verbergen sich bizarre Varianten, die das abundante Geschenk gegenüber evolutionären Aufdringlichkeiten feiern. "Madagascar 2" ist ein kleines Epos, das unter Beweis stellt, dass die Interpretation keine großen Anlässe benötigt, um auf "ewige Wahrheiten" zu stoßen. Etc.

Goedart Palm

11/07/2009

Wilhelm Schmidtbonn - leicht imaginäres Porträt

Robert Schumann - Aquarellskizze

Die Penetranz des Igels

Eleganz oder Penetranz - immer mehr verliert der Roman sein Selbstverständnis. Er pumpt sich auf mit Wissenspartikeln aus allen möglichen Bereichen, wird immer fetter und implodiert schließlich im Nichts. Längst soll das nicht besagen, dass wir hier nur den Ausverkauf von Trivialitäten erleben, obschon diese Grenzgänge zur Schlampigkeit verführen. Man verlässt eine Disziplin auch dadurch, dass man disziplinlos wird. Die "Eleganz des Igels" gehört in diese mehr oder minder stolze Reihe, in der sich z. B. Bouvard und Pecuchet, der Zauberberg, aber auch Sophies Welt befinden. Grenzgänge und Hintereingänge sind legitime Zugangsweisen und -wege. Gleichzeitig erleben wir aber eine mutuelle Mangelverwaltung, der Roman stützt die Not leidende Philosophie und umgekehrt.

Goedart Palm

Robert Schumann - Porträt

11/05/2009

Zwischen Kannibalismus und Kantianismus


Zwischen Kannibalismus und Kantianismus

Zum Tod von Claude Lévi-Strauss

Claude Lévi-Strauss war der große Hexenmeister des Strukturalismus, der zahlreiche Wissenschaftskonzepte seiner Zeit verarbeitete und mit seinen brillanten Analysen weit über die Anthropologie und Ethnologie hinaus berühmt wurde. Paradox formuliert war Lévi-Strauss der Strukturalismus höchstselbst, während diese faszinierende Mode der Welterschließung vom wissenschaftlichen Anspruch her doch bar jeder subjektiven Signatur sein wollte. Lévi-Strauss wurde wegen seiner hohen literarischen Qualitäten mit herausragenden Schriftstellern verglichen, in die Philosophie eingemeindet und teilte das Schicksal diverser französischer Intellektueller, nicht mehr auf eine einzige „Disziplin“ festlegbar zu sein. Er orchestrierte seine Texte musikalisch, etwa seine mytho-kulinarische Schrift „Das Rohe und das Gekochte“, den ersten Band der "Mythologica“, die Referenzen zur Tetralogie Wagners „Der Ring des Nibelungen“ expliziert. Der Wissenschaftler will Werke schaffen, die musikalisch sind, weil die Verwandtschaft von Mythos und Musik Epistemologien eröffne, die weit über das hinausreichen, was bisher vorliege. „Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft“ schlägt 1949 wie eine Bombe in den französischen Wissenschaftsbetrieb ein. Simone de Beauvoir feiert den neuen Superstar in den „Temps Modernes“, um ihn gleich dem Sartreschen Existenzialismus zuzuschlagen.

Claude Lévi-Strauss arbeitete aber anders als die Existenzialisten auf der Schnittstelle von Natur und Kultur, jenem, auch politisch brisantem Transformationsort, der wirkungsmächtig mit Rousseau in Philosophie und Politik eingeleitet wurde. Dessen radikale Zivilisationskritik nahm Claude Lévi-Strauss teilweise auf, um dem inzwischen anrüchigen Kolonialismus auch die wissenschaftliche Rechnung zu präsentieren. Er war der Auffassung, dass die Ethnologie seiner Bauart in der Lage wäre, Kolonialdesaster, die aus dem überheblichen Nichtbegreifen fremder Kulturen möglich werden, zu verhindern. Das Wissen um das wilde Denken, das nicht weniger raffiniert gebaut sei als das vorgeblich aufgeklärte, eröffnete einen völlig neuen Blick auf die traurigen Tropen. Die Demontage des imperialen Blicks auf die Wilden lag in der Luft. Aber erst Claude Lévi-Strauss hat ein multidimensioniertes Fundament in der kritischen Nachfolge des Positivismus eines Auguste Comte und der empirisch aufgerüsteten Soziologie Emile Durkheims vorgestellt, das vor allem durch die linguistische Methode geprägt wurde. Als die strukturalistische Mode blasser wurde, gab es viele Denker, die eilig versicherten, alles, nur keine Strukturalisten zu sein. Claude Lévi-Strauss dagegen war bekennender Superstrukturalist. Er fahndete ständig nach Strukturen, die dem jeweiligen Forschungsobjekt zugrunde lagen, von denen sich der Wissenschaftler nicht ablenken lassen darf durch vordergründige Inhalte der Mythopoiesis. Das intrikate Zusammenspiel der Elemente lernte Claude Lévi-Strauss maßgeblich in Roman Jakobsons Linguistik-Vorlesungen, die er als „eine Art Blendung“ erfährt und von Ferdinand de Saussure, der die Arbitrarität der Zeichen betonte, die erst im System zu „leben“ beginnen. Berühmt sind Strauss´ Untersuchungen über die Verwandtschaftsbeziehungen und das Inzestverbot. Wurde das Inzestverbot zuvor biologisch und moralisch interpretiert, bestand Claude Lévi-Strauss darauf, dass die sozialen Konsequenzen dieses Instituts erst den kommunikativen Raum konstituieren, der für den Fortschritt von Gesellschaften selbstverständlich ist. Plastisch formuliert: Wer seine Schwester heiratet, kann nicht mit seinem Schwager fischen gehen. So wird das Inzestverbot ein prägnanter Ausdruck für die Umwandlung einer vormals naturalistischen Betrachtung der Konsanguinität zu einem zentralen Kulturmoment menschlicher Allianzen. Claude Lévi-Strauss hat mit diesen Erkenntnissen auf der Schnittstelle von Natur und Kultur einen nicht geringen Teil des wilden Bodens urbar gemacht und zugleich die Kultur des Westens reflektiert. Dass wir selbst gegen jedes Selbstverständnis Wilde bleiben, wurde später in einer weiten Literatur zwischen Zeitgeist und Wissenschaft zum allfälligen Untersuchungsgegenstand. Allerdings könnten diese Dezentrierungen der europäischen Selbstgefälligkeit – wie immer – nicht die ganze Wahrheit sein. Roger Callois hat sich mit Claude Lévi-Strauss fundamental entzweit, weil dieser Strukturalismus die Unterschiede zwischen den Kulturen ausblenden würde. Claude Lévi-Strauss würde durch den Splitter im eigenen Auge daran gehindert, die Balken in den Augen der anderen zu sehen. Kulturen, die Kannibalismus und andere Widerwärtigkeiten kennen, würden hier künstlich aufgewertet, während der Westen durch seine Neugier und seine Wissenspraxis diesen Kulturen gegenüber überlegen sei. Claude Lévi-Strauss reagiert auf diesen eurozentrischen Machtgestus sauer: Man möge sich nicht in der Küche umsehen, um über Moral zu urteilen, sondern die Zahl unserer Tötungen mit denen der Papuas vergleichen.

Psychologie, Biologismen und ähnlichen Deutungsmustern wurde damit der Prozess gemacht. Doch die abstrakte Kodierung der Mythologeme setzte sich dem Verdacht aus, eine Art von Neo-Kantianismus zu predigen, der darin besteht, das transzendental Kollektive wider die soziokulturellen Differenzen zu konstruieren. Die Codierungen, die es aufzuspüren galt, fanden sich programmgemäß über die Grenzen der jeweiligen Ethnien hinaus, was aber für den Ethnologen nicht zum Verzicht auf genaue empirische Beobachtungen werden darf. Ihre Regeln zu erkennen bedeute, das System zu verstehen, nach dem Gesellschaften und Menschen funktionierten. Der Ansatz war kühn bis kopernikanisch, weil von den manifesten Inhalten gesellschaftlicher Selbstbeschreibungen nun auf abstrakte Schaltungen der mythologischen Elemente umgestellt wurde. Niemals wurde dieses entsubjektivierte Verfahren deutlicher als in der späten lakonischen Aussage des buddhistisch inspirierten Meisters: „Ich bin fest davon überzeugt, dass das Leben keinen Sinn hat, dass nichts irgendeinen Sinn hat“. Skeptiker wie Claude Lefort sahen das kritischer, wenn er ein Grundproblem des Strukturalismus formuliert: Die mathematischen Modelle verdrängten die Wirklichkeit. Das Risiko, Modelle als Seinstatbestände auszugeben, lauert bei allen Untersuchungen, die Phänomene symbolisch „hochrechnen“, um nicht im „Realen“ zu ertrinken. Ausdrücklich erklärt Lévi-Strauss im Bezug auf das Werk von Marcel Mauss die Autonomie des Symbolischen wie des Signifikanten im Blick auf die Unabhängigkeit der Sprache und der Verwandtschaftsregeln. Vielleicht konnte er das Chaos der „frei flottierenden Signifkanten“ nicht voraussehen, die sich gleichsam wie terroristische Viren in den postmodernen Körper einschlichen, ja ihn letztlich substituierten. Denn so verdienstvoll die Erkenntnis von Bedeutungsverschiebungen in der jeweiligen artikulatorischen Praxis auch war, so blieben die Standortbeschreibungen, in denen sie zu Bedeutungen, sprich: Signifikaten, hätten werden können, in den späteren Aufgipfelungen des Poststrukturalismus oft genug aus. Nicht nur Revolutionen, auch Modelle können ihre Kinder fressen.

Das Verdienst Claude Lévi-Strauss´ bleibt indes die neue Sichtweise auf die Konstruktion von Kulturen, deren Regeln tiefer gelegt sind, als es die rationalen Rekonstruktionen und Selbstverständnisse zu wissen glauben. Die strukturale Anthropologie hat immens zum Verständnis der Kulturen und ihrer Kommunikationsweisen beigetragen, während die konkreten gesellschaftlichen Bedingungen, die Entwicklungsunterschiede und anderen Weltentfaltungsmomente nicht jederzeit zureichend gedeutet werden können. Insofern sind Claude Lévi-Strauss Erkenntnisse in einer globalisierten Welt weiterhin wertvoll. Welchen Codierungen folgen islamistische Terroristen? Gibt es hier übergreifende Regeln, die sie mit allen anderen Terroristen gemein haben, was konfliktgeladene Exkurse in religiöse Dogmatiken bedingt wertvoll erscheinen ließe. Das Problem der Wirklichkeit bleibt auch nach Claude Lévi-Strauss´ Erkenntnissen ihre Unbotmäßigkeit gegen ihre Verortung im Spiel der Signifikanten. Der Strukturalismus hat das Subjekt, den Menschen zugunsten von Codes, Regeln, Ordnungen, Systemen verdrängt und das war zunächst heilsam, doch hatte man die Rechnung ohne den Wirt gemacht, wenn das verdrängte Subjekt für Dynamiken verantwortlich zeichnet, die in diesen Hallen der strukturalen Anthropologie keinen Platz hatten. Der Strukturalismus ist eine wissenschaftliche Episode geblieben, die im Höhenrausch eines Paradigmas begann, um auf sperrige Wirklichkeiten zu treffen. „Entkolonisierung“ könnte dieser Welterschließung nach in letzter Konsequenz eine globale Maßnahme der Entsorgung der Erde vom Menschengeschlecht heißen, da Claude Lévi-Strauss ähnlich wie Michel Foucault das Ende der Welt nicht als Schlussveranstaltung des selbstgewissen Menschen sieht. Ob daher der Strukturalismus humanistisch ist oder nicht, mag angesichts der Absicht von Lévi-Strauss, die Anthropologie in eine „Entropologie“, eine Wissenschaft von den soziokulturellen Desintegrations- und Zerfallsprozessen zu verwandeln, Stoff für endlose Räsonnements liefern. Gegenüber diversen gegenwärtigen Fortschrittsnaivitäten liefert dieses Konzept aber weiterhin zahlreiche Anregungen, hier bei unseren zivilisierten Wilden nach der Auflösung sozialer Ordnungen und ehedem approbierter Formen des Zusammenlebens zu fragen.

Goedart Palm

11/03/2009

Nikolaj Gogol - Die lebenden Seelen

Warum ist/sind "Die toten Seelen" ein großer Roman?

Gogol gelingt es, Figuren zu schildern, die sich im Kontext ihrer jeweiligen Umwelt als gleichermaßen skurril wie hoch angepasst erweisen. Dabei bleiben sie plastisch, auch wenn ihre Charaktere bei psychologischer Rekonstruktion nicht immer völlig plausibel sein mögen. Gogols Thema ist die soziale Evolution, die Einbettung des Menschen in einen sozialen Kosmos, der mutatis mutandis immer so beschrieben werden könnte. Gogols Blick ist in letzter Konsequenz hart und realistisch, auch wenn diese Perspektive durch spekulative oder romantische Momente abgemildert scheinen. Gogol sorgt sich um die Aufmerksamkeit des Lesers, agiert gleichsam auf mehreren Baustellen, nimmt Multiperspekiven ein und ist daher ein genuiner Romancier. Von einigen seiner Nachfolger unterscheidet er sich dadurch, dass er nicht der relativen Unsitte des "Shandyisierens" verfällt, obwohl ihm die Lust dazu immer in den Fingern juckt. Gogol beschreibt Menschen technisch, sodass wir ihre Beweggründe nicht wirklich kennenlernen, stattdessen präsentiert er eine Handlungslehre, die nicht gefährdet ist inaktuell zu werden. Cicikow respektive Tschitschikow existiert unter vielen Namen in jeder Gesellschaft, mögen einzelne Module fehlen oder hinzutreten. Die Aufgabe des Lesers bei der Lektüre Gogols: Welche Figur wäre ich in diesem Universum? Begreift der Leser das, weiß er (fast) alles über Gogol.

10/25/2009

Papst und PC-Spiel Teil II

Die Story geht weiter: "Oh, das war ein Fehler, sich mit dem Papst anzulegen. Meine eigenen Leute verachten mich. Ich glaube, ich fange wieder mit der letzten Speicherung an." Geschichte im virtuellen Paralleluniversum.

Goedart Palm

Papst und PC-Spiel

Ein Jugendlicher beim PC-Spiel: "Oh, ich habe beim neuen Papst Sympathie-Punkte verloren, nicht viel, aber immerhin...Letztlich ist mir das aber egal. Wenn ich Rom einnehme, werde ich ihn eh hinrichten lassen."

Sprüche wie dieser, die es zu Tausenden gibt, machen eins klar. Die Simulationen reichen mitunter weiter, als es antiquierte Kulturkritiker glauben wollen. Die Identifikationen mit historischen Rollen gelangen irgendwann an den Punkt, wo der Spieler zum genuinen Mitglied der Medici oder irgendeiner Gruppe wird, schließlich ein historisches "Modul" besitzt, das ihn Geschichte wirklich begreifen und ausführen lässt. Warte noch ein Weilchen...

Goedart Palm

10/22/2009

Inherent Interpretation - Inherent Vice

Die Rezeption von Thomas Pynchons Roman "Inherent Vice" ist recht verhalten, was im Grunde deutlich macht, dass ohne Aufmerksamkeitskicks wie Literaturnobelpreise (und mehr bedeuten die nicht!) Literatur ein unbedeutendes Dasein fristet. Literatur bewegt keine öffentliche Meinungen, zum wenigsten in einer Zeit, in der diese keinen Rechtfertigungsdiskurs mehr findet.

Goedart Palm

Lieblose Ausstattung - die Matrix Teil 23

Heute fahre ich im Bus und sehe Mitfahrer, die ich vor einigen Tagen zu einer anderen Zeit habe fahren sehen. Ich denke, mein Gott, eine so lieblose Ausstattung: Wechselt hier keiner das Personal? Just das war das Argument, die Matrix zu beweisen, was weder Hilary Putnam noch sonst einem Denker gelungen ist. Es herrscht die "Mittelmäßigkeit", ein wie Aristoteles zentral feststellt, geniales Prinzip - nur leider für Medienjunkies, die den kick der Matrix erwarten, nicht immer nachvollziebar.

Goedart Palm

10/09/2009

Ulrich Sonnemann - ein Minirequiem

Wer liest heute noch Ulrich Sonnenmann? Ich. Allerdings weiß ich nicht immer so genau warum. Denn Sonnemann ist prätentiös und sperrig bis an die Grenze des Erträglichen und mitunter auch darüber hinaus. Einige seiner Einfälle lesen sich mit einem satirischen Empfängerhorizont leichter. In seiner Biografie ist vermerkt, dass er wohl tatsächlich mal in einem Satiremagazin geschrieben haben soll. Was mich am stärksten ennerviert, ist die aufdringliche bis aufdrängende Nähe zu Adorno, dessen Stilmagnetismus er mitunter bedingungslos gegenüber kapituliert. Nun ist es mehr als der Stil Adornos, der ihn affiziert. Es gibt Gedankenwerke als Versatzstücke, oft nur ein einfacher Grammatikalismus, der instantanes Denken ermöglicht. Dialektik hatte schon immer das Problem, dem eigenen Mechanismus zu erliegen, auch wenn sie sich negativ geriert. In diesen Missliebigkeiten dann aber schöne und originelle Ideen, man muss die Attitüde jener Tage abziehen, zumindest die Stilselbstverliebtheiten, um einige Essenzen zu destillieren. Eine große Rezeption ist nicht mehr zu erwarten,aber vergessen wollen wir Ulrich Sonnenmann nicht.

Goedart Palm

10/06/2009

Inherent Interpretation

Thomas Pynchon - On the road again: Inherent Vice

Prolog

Fast zeitgleich mit dem Erscheinen von Thomas Pynchons psychedelischem Hippie-Detektiv-Roman wird Mitte August 2009 Lynette Alice „Squeaky“ Fromme im Alter von 60 Jahren auf Bewährung aus dem Gefängnis entlas-sen. Squeaky? Angeblich erinnerte ihre Stimme an ein Schweinchen, wenn man(n) sie kniff. Weitere lustige Geschichten von Charlie Manson und seiner „family“ gibt es nicht zu berichten. Charlie Mansons getreueste Anhängerin und zeitweise sein Sprachrohr hat ihm während ihrer rund 34 Jahren Haft angeblich nie abgeschworen. Manson hat(te) Charisma, so unbeholfen sein Englisch und so wirr seine Rede waren. Vielleicht gerade deshalb. Nicht nur seine Jünger, auch die Medien reagierten auf ihn hungrig bis lüstern. In „Natural Born Kil-lers“ wird diese kriminelle Mega-Eminenz zur mythisch-ironischen Hinter-grundfolie des bösen Pärchens Mickey and Mallory, die schon mächtig verrucht sind, aber den Altmeister des Bösen übertrifft man nicht so leicht. Pynchons Kurzroman „Inherent Vice“ mit einem für diesen Autoren schmalen Umfang von rund 370 Seiten ereignet sich im Jahr 1970, in dem kurzen Zeitraum nach der Verhaftung Mansons und vor dessen Prozess. „The '60s are gone, dope will never be as cheap, sex never as free, and the rock and roll never as great”, mar-kierte der berühmt-berüchtigte Aktivist Abbie Hoffman das Ende einer „Epo-che“, die nur eine grellbunte Farce gewesen sein mag und doch über die Zeit hinaus genügend imaginären und chemischen Stoff zum Träumen liefert. Das Ende der Hippie-Kommune „Manson Family“ steht für die Zertrümmerung der delirierenden „Love and Peace“-Menschheitsverbrüderung. So wie die Tötung von Benno Ohnesorg und das Attentat auf Rudi Dutschke Hegels Diktum von der Schlachtbank der Weltgeschichte auch für kleinere Weltrevolutionen im stu-dentischen Laufschritt bewahrheiteten, gerieten die künstlichen Paradiese in Haight Ashbury mit Mansons Monstertour in das chiascuro einer heimtückischen Welt. Janis Joplin hatte es in ihrer bodenständigen „Beatnik“-Sicht schon immer gewusst: Die Zeiten werden nicht besser, „the times they are a changin“ (Bob Dylan), und deshalb sind wir schon froh, wenn es für ein paar angenehme Tage vor dem allfälligen Untergang reicht. Nach Mansons Exzessen gibt es noch Hippies, doch ihre psychedelischen Träume sind jetzt vom Sündenfall überschattet. Die zu- und hochgedröhnten Tage erscheinen Pynchon als eine "kleine Parenthese des Lichts", während jetzt Drogen nicht mehr nicht mehr nur die schönen Träume produzieren sollen, sondern auch helfen, die bösesten Träume zu verdrängen.

Kurzum: California Nightmarin´.


A day in the life of Doc Sportello

Die „Manson-Pynchon-Line“ in „Inherent Vice“ ist komplexer und unterirdisch verzweigter gebaut, als es die Oberflächenkoinzidenz der Ereignisse verrät. Der kriminalistische Kiffer Doc Sportello, ein hippiesker Nachfahre von Philip Mar-lowe, schnüffelt zwischen den Welten. Die Geschichte beginnt mit einem verwaschenen (!) Country Joe and the Fish T-Shirt, das Docs Ex-Freundin Shasta trägt, als sie ihn beauftragt, den Verbleib von Mickey Wolfmann aufzuklären. Shasta ist Mickeys neue Flamme. Mickey ist ein ominöser Tunichtgut, der seine Finger in vielen Geschäften hat und nun von der Bildfläche verschwunden ist. Diese Initialzündung wird vordergründig zu einer multiplen Travestie der Romane Raymond Chandlers und Dashiell Hammetts entfaltet, wobei Thomas Pynchon wohl noch weniger als die beiden großen Detektiv-Geschichtenerzähler am Holzschnittcharakter seines Helden oder dessen Widersacher interessiert wäre. Letztlich spielt nicht mal die Geschichte selbst eine Rolle. Figuren haben bei Pynchon keine psychologische Bedeutung, sie sind Allegorien oder Intensitäten der Dinge, für die wir noch keinen idealen Namen gefunden haben. Die ins Fi-gurengeflecht geworfenen Protagonisten wie Sauncho Smilax, Bigfoot Bjornsen, Japonica Fenway, die FBI Agenten Flatweed and Borderline oder die Stewar-dessen Motella and Lourdes verraten im Namen bereits ihre groteske Geburt aus dem ironischen Geist der aufdringlichsten Anspielung. Pynchons „Puck Beaver-ton“ etwa mischt Doc Sportello einen schlimmen Trank unter, der Doc in einen Sommernachtsalptraum der härteren Sorte schickt. Solche leicht rekonstruierten Themencluster haben Pynchon Kritik eingebracht. Kritiker sehen hierin das ewig gleiche Panoptikum von paranoiden Figuren, die sich um die immerglei-chen Pynchon-Themen drehen. Diese Geschöpfe konzentrieren Prozesse der Erkenntnis und Existenz, die jenseits der kontextuellen Spiele Pynchons keinen Sinn machen würde. Mit solchen Figuren kann man nicht mitfühlen, sie schaffen Vorwände für Sphärenbesuche der verschiedensten Art, aber danach wirft man sie weg wie Zigarettenkippen. Madame Bovary, die mit anderem Namen nach Auskunft „ihres“ Autors zugleich „Gustave Flaubert“ hieß, hätte ihren höchsteigenen Roman in jede andere literarische Wirklichkeit verlassen können. Doc Sportello ist dagegen ein narrativer Vorwand, Pynchons delirierenden, zugleich aber kalkulierten Beziehungswahn freizuschalten. „Paranoisch-kritische Aktivi-tät bedeutet: spontane Methode irrationaler Erkenntnis, die auf der kritisch-interpretierenden Assoziation wahnhafter Phänomene beruht.“ So beschrieb Salvador Dali 1935 einen ähnlichen Zugang zu einem diffamierten Weltwissen, das nach Sigmund Freud mit vielen Mitteln urbar gemacht werden muss, ohne es in vordergründigen Rationalisierungen zu ersticken. Im vorliegenden Roman verschaltet Pynchon zu diesem Behuf die alte Kalauer- und Comic-Kunst mit hochmögenden Spekulationen über die letzten Geheimnisse dieser Welt. Spor-tello ist ein Sherlock Holmes, der im Dienst der guten Sache seine Pfeife diesmal mit psychoaktiven Medien stopft. Wenn man den richtigen Stoff findet, beginnen die nüchternen Fakten untergründig in vielen Stimmen zu sprechen. „Es ist stets ein Kampf gewesen, die Wahrheit zu finden, denn die Autorität eines anderen oder das Aufdrängen von Seiten eines anderen oder die Verführung durch einen anderen hat mich nicht zufriedengestellt. Ich wollte sie für mich selbst entdecken, und so musste ich natürlich leiden, um sie herauszufinden." Jiddu Krishnamurti, der an der Peripherie von „Inherent Vice“ aufleuchtet, for-muliert hier die einsamen Leiden der Spürnasen des Schattenreichs, die die wahre Wahrheit suchen, während sie von offiziellen Schnüfflern behelligt werden, wie es der obercoolen Tradition Philip Marlowes entspricht. Doc fürchtet, nur ein brutistischer Aufklärer-Cop wie Bigfoot Bjornsen zu werden, der Docs wide-screen-Aufklärung als „Hippiephanien“ gering schätzt. Doc Sportello besitzt keine reflexive Identität. Er folgt Träumen, Eingebungen, Bildern und transzendiert so die messerscharfe Spürnasen-Logik a la Sherlock Homes. Für diese kri-minalistische Spurensuche und Erleuchtung gelten letztlich dieselben Grundsät-ze: „Vielmehr ist es die Beharrlichkeit und das Durchhaltevermögen, die die Möglichkeit einer spirituellen Entwicklung gewähren“ heißt es in einem Blog des Hermetic Order of the Golden Dawn Deutschland „Über die Notwendigkeit von Disziplin in den magischen Künsten“. Magische Missionen, magical mys-tery tours, gibt es in Pynchons Detektivgeschichte viele: “It is the mission of the LAPD to safeguard the lives and property of the people we serve.” „To protect and to serve” ist das Motto des Los Angeles Police Department, was eben so religiöse wie kriminalistische Fragen aufwirft, denen man, und da sind sich Hippies und Cops einig, mit allen zur Verfügung stehenden Medien beikommen muss.

Shasta Scenes

Zentral in Pynchons Geschichte ist der mythenexplosive Mount Shasta, der zweithöchste Vulkan im Norden Kaliforniens. Literarisch ist „Inherent Vice“ ein raffiniertes sequel zu Frederick S. Olivers „A Dweller on Two Planets“ bzw. dessen Fortsetzung „An Earth Dweller´s Return“ (1940) von Phylos dem Tibeter, die hier ihren Schauplatz finden. Mickey Wolfmann ist der seinem neuen Ruf folgende bekehrte „Dweller on Two Planets“, dessen literarisch weitläufiger Mythos sich mit den Hippie-Sehnsüchten einer von der Realität entlasteten Magie- und Techno-Welt verbindet. „Shasta Fay Hepworth“ als Sportellos Ex und Freundin von Mickey ist die wahre Schizo-Lady, die das Leitmotiv als Fleisch gewordenes Anagramm einer Leinwandgöttin vorgibt. In „Mount Shasta“ haben diverse Mythen ihren Ursprung wie jener, der schneegekrönte Berg sei die pazi-fische Nordwest-Version des „Ararat“. Nach indianischer Überlieferung wohnt auf dem Berg “Shasta” der geistige Führer Skell, der vom Himmel zur Bergspit-ze heruntergestiegen ist. Der Weise Quong, der den „Wanderer zwischen den Welten“ zum Mount Shasta führt, erklärt detektivisch: Leicht verfehlt man den Eingang zu dieser anderen Welt, denn die Neugierigen sollen getäuscht werden. Wirklichkeit ist nicht notwendig eine irdische, erdgebundene Festigkeit, heißt es bei Frederick S. Oliver, der nicht durch europäische Philosophie geschulte, pragmatische Amerikaner darauf hinweisen will, dass „Materie“, „mouldy old dough“ und anderer Schlamm nicht die einzige Wirklichkeit sind. So präsentiert sich diese Neophyten-Esoterik zwischen Erleuchtung und Elektrizität als komplexe Licht-Metaphorik, die in Pynchons illuminierter Welt in vielen Varianten scheinen und erscheinen darf. Oliver und sein Nachfolger schrieben eine wilde Geschichte, die den Helden im Inneren von Mount Shasta in Venus/Hysperia Gefilde katapultierte, um dort wilde Techno-Fantasien zu antizipieren. Dieses Buch war nach Oliver als Eingebung eines „channel“ auf ihn gekommen. Die Wahl des richtigen „channel“, also die Suche nach dem Sender, die auch uns täglich bei der Programmwahl quält, ist die zentrale Frage drogengestützter Psy-cho-Epistemologie. Bieten Drogen ein kognitives oder rezeptives Schema, das Thomas Pynchon ernst nimmt oder verdinglichen sie nur das literarische Prinzip seines kalkulierten Beziehungswahns? Doc Sportello räsoniert darüber, dass sie - die Regierung, die Herrschenden - Acid verboten haben, als sie darauf kamen, es könnten magische Kanäle geöffnet werden und Dinge ansichtig werden, die nicht für das einfache Volk bestimmt sind. Die Droge ist das Medium ist die Botschaft ist Gott. Doc Sportello bietet seinen Kunden LSD, nicht „Lucy in the sky with diamonds“, sondern „Location, Surveillance, Detection”. „LSD“ galt auch als Charlie Mansons Herrschaftsinstrument, um seine rothaarigen, mordbereiten Hippie-Mädchen bei der Stange zu halten. LSD ist der magische Super-stoff, der alle Seiten der vielen Fronten verbindet, so verschieden sich die Machtkonzepte der LSD-Gläubigen auch darstellen. Die Geschichte des Verhältnisses von CIA und LSD ist in „Acid Dreams: The Complete Social History of LSD: The CIA, the Sixties, and Beyond“ von Martin Lee und Bruce Shlain minutiös dokumentiert. Die CIA was besessen von der Techno-Fantasie, LSD als Spionagewaffe im Kalten Krieg einzusetzen. Könnte man die roten Krieger in aller Öffentlichkeit lächerlich machen? Würden Fidel Castro oder Mao vor allen Augen delirieren und – man höre und staune – die Wahrheit sagen? So hät-ten wir die Wahrheit des real existierenden Sozialismus in der höheren Wirk-lichkeit des Rauschs widerlegt. Statt des CIA-Fantasmas entfalteten dann jedoch die Drogengurus Timothy Leary, Abbie Hoffman, Ken Kesey oder Allen Ginsberg die sozialen und ästhetischen Dimensionen dieser Droge, die schließlich eine ganze Ära „branden“ sollte. In jener aufgeheizten Afri-Cola-Werbung von Charles Wilp für den Massengeschmack jener Tage wurde das Prinzip schon richtig erkannt: Alles ist in diesem Stoff.

Diese Welt wurde nicht von den Hippies erfunden, aber sehr weit aufgezogen, zudem sie nun von jedem aufrechten Junkie angesteuert werden konnte. Auch wenn von Gurus die Rede ist, ist der Weg im wildbunten Omnibus, im Hippie-Mahayana, von jedem befahrbar. „Sexy Sadie“ ist doch selbst nur eine Illusion. Psychedelik heißt die Methode, die Dimensionen des Erfahrbaren zu vervielfältigen, das Multiversum zu durchfliegen wie in jenem farbflirrenden Innenwelt-traum, den Stanley Kubrick in 2001 für die Süchtigen der Midnight Movies schuf. Die Intuition der Vernunft lehrt, dass alles „irgendwie“ zusammen gehört - doch man weiß es erst wirklich, wenn man in den ozeanischen Gefühlen ein-taucht, die jede Dislokation zulassen. Thomas Pynchon transzendiert Bucky Ful-lers „Raumschiff Erde“ mit der Idee von „zomes“ (zonahedral domes), die einen zu völlig anderen Orten bringen, insbesondere, wenn sie in der Wüste stehen. Schon zuvor hatte Pynchon in „Against the day“ versucht, die paradoxen Di-mensionen mathematischer Räume mit ihren geopolitisch verrückten Beziehun-gen literarisch nachzubilden.

Boden- und Drogenideologie

Atlantis, Lemuria und Mount Shasta sind esoterische Dauerbrenner, denen Pyn-chon in diesem Roman einige Transzendenzen zurückerobert, die sie in ihren Popularisierungen, im Hippie- und New Age-Kitsch verloren hatten. Docs „Aunt Reet“, von Pynchon bei „Jane Eyre“ ausgeborgt und mutiert, weiß alles über das Land, die Immobiliengeschichten, die Sedimente der Generationen und untergründigen Wahrheiten des Bodens. Während sie Doc mit Infos füttert, spekuliert sie in ihrer Immobilienphilosophie über die künftigen Zeiten des Internet, wo sich Daten wie Erdschichten übereinander legen und alles gewusst werden kann. Das Land ist viel mehr als nur ein Katastereintrag oder Wertobjekt. Sollte man Taue um sein Grundstück legen, wie es der Aberglaube will, um sich vor mancherlei Unbill zu schützen? Der im Geld schwimmende Crocker Fenway präsentiert eine andere Variante der Landnahme: die reaktionäre Welterschlie-ßung, demnach die wirklichen Werte wie Land, Öl und Arbeitskraft den Reichen gehören und die anderen, Hippies und Glückssucher aller Sorten, nur auf kurzen Wellen trügerischer Freuden surfen. Seitdem „Lemuria“ von Helena Petrovna Blavatsky in der 1880ern mythenproduktiv eingeführt wurde, reißen die Imagi-nationen zu den verlorenen Kontinenten und Inseln Atlantis, Lemuria, Mu oder Saragalla (Alexander Moszowski) und ihren gegenwärtigen Wiedergängern nicht mehr ab. Der Krieg in Vietnam wiederholt nur eine karmische Schleife, die so alt ist wie die ozeanischen Gefilde, um einen ewigen Stellvertreterkrieg auf-zuführen. Der Mann mit den 50 Tarnnamen, deren geläufigster Ho Tschi-minh ("Der die Erleuchtung bringt") war, war gebürtiger Lemurier, Nixon dagegen Atlantis-Nachfahre. So erklärt sich Geschichte als ewiger Antagonismus alter Mythenvölker. Thomas Pynchons literarische Spielfreude ist vorzüglich geeignet, die Paranoia zu schüren, die solche Orte verdinglichter Metaphysik mit allen möglichen Projektionen auflädt. Ohne diese Projektionen gibt es keine Wirk-lichkeit, wie es Pynchon so multidimensioniert in den Riemannschen Räumen von „Against the day“ demonstrierte. Diese imaginären Kontinente, die in einer Kontinentalkorrektur zu ihren irdischen Komplementen finden müssen, sind schon immer die genuinen Erdteile der Literatur gewesen.

Orte sind, so wie sie Philip K. Dick auch oft inszeniert, mehr oder weniger un-heimlich, gut oder böse, besitzen eine eigene Aura und sprechen eine eigene Sprache: „Godzilligan's Island“ – das heißt: Gilligan und Godzilla hybridisieren, weil der Schrecken und die Possen längst nicht verschiedene Welten anzeigen. Was lernen wir daraus? In der Bauordnung einer intelligenten Karma-Politik sollte man es sich zweimal überlegen, alte Indianer-Grabstätten aufzureißen. Aunt Reet sei Dank! Und wer zuvor einen Klempner brauchte, braucht heute einen Dezombifikateur, wo doch schlechtes Karma immer und überall wuchert. Zentral in den Mount Shasta-Legenden ist der alte Zauberer Coyote-Mythos, dem Mansons autistisch selbstgestrickte Coyote-Erzählung folgt. Charles Manson suchte 1968 im Death Valley vor Erdlöchern obsessiv nach einem geheim-nisvollen Volk einer dritten Welt. Der Coyote ist mal der gute, mal der böse Geist, was Mansons frei interpretierende Faszination für dieses schamanische Personal der Hopi-Indianer erklären mag: „Christus am Kreuz, der Kojote in der Wüste - das ist ein und dasselbe. Der Kojote ist schön. Er bewegt sich graziös durch die Wüste, er ist kaum wahrnehmbar, er ist sich aller Dinge bewusst, schaut um sich. Er hört jedes Geräusch, wittert jeden Geruch, sieht alles, was sich bewegt. Er befindet sich immer in einem Zustand völliger Paranoia, völlige Paranoia aber ist totale Bewusstheit. Du kannst vom Kojoten lernen, genauso wie du von einem Kind lernst. Ein Baby kommt zur Welt in einem Zustand der Angst. Völlige Paranoia und totale Bewusstheit...“


„Toto, ich habe das Gefühl, wir befinden uns nicht mehr in Kansas.“

Völlige Paranoia und totale Bewusstheit? Thomas Pynchons literarische Realität ist ähnlich konstruiert wie die des genialen Philip K. Dick. Wirklichkeit heißt, dass der Boden wegklappt und die Helden nicht wissen, ob es nun Halluzinatio-nen sind oder die wirkliche Wirklichkeit, die sich wie ein Abgrund auftut, einen in das schwarze Loch zieht und - hoffentlich – irgendwo an einem besseren Ort wieder ausspuckt. Wahrscheinlich erleben wir einen dritten, unbenannten Zu-stand, der das tradierte Kalkül einer schlichten Alternative von Sein und Schein überschreitet. Bei Dick gehört dieses ungemütliche Gefühl der Realitätsdrift zur conditio sine qua non der literarischen Konstruktion. Intuitionen sind trügerisch und nur, wer neue Verbindungen riskiert, wird verstehen. Psychedelische Surfer-Herrlichkeiten, in denen sich Mystizismen, Freak-Power und der Rest der guten Dinge übereinander legen, demonstrieren Pynchons Produktionsmethode. Seine Wirklichkeit ist das Spiel der „layer“, der lasierenden Überlagerungen, des schwer entwirrbaren „Chaa-tcha” der Bedeutungen, die dem durch Pot und Acid, nicht weniger durch literarische Ambitionen angeheizten Hirn die ungeheuer-lichsten Wirklichkeiten produzieren.

Wer jetzt noch diskret zwischen Wirklichkeit und Schein unterscheiden will, ist selber schuld. Sherlock Holmes soll nur Fiktion sein? Das kann nicht sein, wenn er mit allen Anzeichen des Wirklichen in der Baker Street gelebt und geschnüf-felt hat. Im „re-entry“ der Fakten in die Fiktion wird es literarisch sinnlos, die Unterschiede zwischen solchen F-Wörtern ernst zu nehmen. Thomas Pynchon lässt jede Wirklichkeit zu, auch und gerade im psycho-ondulativen Kitsch oder banalsten Alltag kann das „sartori“ hinter der nächsten Biegung einsetzen – so wie es die Zen- und Sufi-Meister schon immer wussten. Sollte jener Dick Dale-Song, der sich zum Surf-Crescendo hochquirlt, die „pipeline“ zur ultimativen Erleuchtung sein. Die Parole der Pariser Studenten im Mai 1968 „Unter dem Pflaster der Strand“ ist auch das Motto des Romans. Wir befinden uns nur dann auf dem grauen Boden der Tatsachen in Paris, Kansas, Venice oder Gordita Beach, wenn uns der wahre Stoff ausgeht. Die Hippie-Philosophie, die noch nicht polit-aktivistisch verflogen ist, hadert mit den Widerständen der Welt, die nicht dialektisch versöhnt, sondern im Drogenrausch weggeblasen werden. Hippies glaubten noch an die Synthesen im Bestehenden, an das wahre Leben im falschen. Bei der Fahrzeugkontrolle fragt ein Freak die Polizeikontrolle, ob man Punkte gewinnt, weil das Auto nicht angemalt sei. Farbe und Licht sind revolutionäres Material. Ein wenig beachteter Höhepunkt der Geschichte revolutionärer Lichtführung vulgo Erleuchtung ist die Verfilmung „The Wizard of Oz“ von 1939, dem vielleicht ersten amerikanischen Farbfilm in Technicolor. Diese In-novation wurde für damalige Verhältnisse so revolutionär wie reflexiv umge-setzt. Während die Szenen im Lande Oz farbenprächtig und hochartifiziell ges-taltet sind, erscheinen jene in Kansas auf der Farm schwarzweiß und dunstig. Es gab Kinos, die in den Werbekästen nur mit den Farbbildern warben und zu-nächst entsetzte Zuschauer erlebten, die von der tristen Kansas-Realität tief ent-täuscht wurden. Hier setzt Thomas Pynchon mit einer Frage zu dieser medialen Sternstunde der Kinogeschichte ein. Dorothy Gale muss, da sie ja aus der bunten Kansas-Wirklichkeit kommt, ein hyperreales Licht- und Farberlebnis haben, das unseren Kino-Schock noch erheblich übertrifft. Wir reiben uns im Kino die Augen, wenn wir nach Oz fliegen. „Plain Jane“ Dorothy Gale verwandelt sich während dessen aber im acid-dream zu „Lucy in the sky“ mit einer ganzen Reihe von künstlichen Diamanten. Wie werden, so fragt sich Pynchon, deren Träume wohl sein. Das Bewusstsein ist eine Steigerungsform. Wer das einmal begriffen hat, wird nach immer besseren Exaltationen suchen, ob nun in literarischen, psychoaktiven, kulinarischen oder Tausenden anderen Stoffen der Aisthesis.


The Golden Fang

Wer wie Jesus wundersam über das Wasser geht, ist ein Surfer. Pynchons blas-phemischer Kalauer erweist ihn als ironischen Meister der Elemente und so kann der gesamte Roman in der Mystifikation von Erde, Wasser und Licht in-terpretiert werden. Im Zentrum der hiesigen Tour steht “The Golden Fang“. Sie erinnert an den Malteser Falken, jenen "Black Bird", um den herum die Ge-schichte sich kristallisiert. „What is it?“ schreit Honey Bunny in Pulp Fiction, als Pumpkin in den goldglänzenden Koffer von Jules starrt. Als multiples Schiff der Erlösung, des Verbrechens wird es von Thomas Pynchon als vexierender McGuffin eingesetzt, der im Glühen der Joints und der illuminierten Konturen der Dinge sich vom goldenen Reißzahn sinniger- oder besser widersinniger Weise in „Preserve“ verwandelt. Es geht also um Aufbewahrung, den Schutz gegenüber dem Raubbau an der Natur, der bei Thomas Pynchon nicht nur in sei-ner unmittelbarsten Weise als Umweltschutz, sondern als ein übergreifendes Prinzip der Welterhaltung verstanden wird. Das ist die Hippie-Lehre des scho-nenden Umgangs mit der Welt, eine Art Antiprinzip zum „american way of life“, eine Absage an Machbarkeitsillusionen, rauschhaft Neues, wider Konsum und Wegwerf-Ungeist. “Soft skin to spend the every day colored gold and Flash the sea to paint gold our love.” So sangen Country Joe and the fish ihre Musik für Körper und Seele, die leitmotivisch einen Teil dieser Lichtlehre erfasst. „The Golden Fang“ ist aber auch der fliegende Holländer, das Totenschiff der Uner-lösten und Verfluchten, unweit oder unendlich entfernt vom Paradies. Wo genau liegt der Unterschied zwischen der Glückseligkeit und dem Horror-Trip? Pynchon dreht die Spiralen zum moralisch Besseren wieder zurück. So verwandeln sich die zum Guten Bekehrten wie Mickey Wolfmann in jene widerlichen Gier-hälse zurück, die zu sein sie im Zustand der Gnade und Erleuchtung nicht ver-stehen konnten. Temporären Erleuchtungen folgt der Absturz in die Hölle. „The Golden Fang“ ist eine gleichermaßen projektive wie paranoide Substanz im grotesken Pynchon-Universum. Ein indonesischer Heroinschmuggler oder das Ab-schreibungsobjekt einer obskuren Vereinigung von Zahnärzten? Sie ist das Objekt der Sehnsucht, der guten wie der schlechten, kapitalistisches Ungetüm und romantisches Versprechen zugleich. Sogar im Rausch erscheint sie Doc und verheißt ihm düsteres Wissen: Sie ist die unglaubliche Rache, wenn alle anderen Sanktionen versagen. „The Golden Fang“ ist mehr als ein Geisterschiff, das die-sen oder jenen Fluch exekutiert, sie ist eine Art logisches Zeichen wie in dem Kalkül von Spencer-Brown, das fortwährend die Markierungen kreuzt. "Eine Aussage kann nicht nur wahr, falsch oder sinnlos sein, sondern auch imaginär." Ein Kalkül dieses unberechenbaren, sich selbst aufhebenden Schoners: jedes Kreuzen der Grenze führt auf die andere Seite der Unterscheidung, die Erlösung, die Verdammnis und zurück.


Pynchonoia und Mansonoia, vom Summer zum Bummer

Charlie Manson wartet auf seinen Prozess und die schwerelosen Zustände wird es nicht mehr geben. „The family“ wurde zum grausigen Euphemismus. Ein Familienmitglied, Susan Atkins, ist in diesen Tagen im Gefängnis gestorben. Sie war einer der Todesengel von 1969, die Manson längst abtrünnig wurden und die sich in der Haft taufen ließ. Manson wollte den Rassenkrieg, der schließlich ihn als unumschränkten Weltherrscher sehen sollte. Er wollte den Aufstand der Schwarzen dadurch provozieren, indem er ihnen zeigte, wie man die Reichen tötet. Dieses paranoide Personal der Revolutionen und Rebellionen hat es immer gegeben. Das Grauen sitzt in den lustigen psychedelischen Mustern so wie die Guillotine im Herzen der Freiheits-, Gleichheits- und Brüderlichkeitsideologen a la Rousseau. Geschichte folgt im Zeichen der Katastrophe komplementären Mustern, von Woodstock zu Altamont, von „Love and Peace“ zu Vietnam, von Demokratie zu Guantanamo.

Pynchon erinnert an die fiesen Figuren, die jedes Menschheitsideal ramponieren. Er ist der Karma-Vermesser, der genau weiß, wo die moralischen Hypotheken abzutragen sind. Es sind die Wölfe wie der gute Mickey Wolfmann, dessen Leibwächter Mitglieder der „Aryan Brotherhood“ sind. „Adrian Prussia“ arbei-tet tagsüber als „loan shark“ und nachts als „hit man“, als Auftragsmörder für die Polizei, was deutlich macht, was „inherent vice“ für Pynchon bedeutet. Es gibt keine Verhältnisse ohne vorinstalliertes Übel, weit entfernt von prästabilierten Harmonien. Prussia eliminiert für die Polizei missliebige Personen. In einem Fall lässt er einen homosexuellen Masochisten heiß machen und peinigt ihn dann selbst zu Tode. Adrian Prussia – den Namen muss man hierzulande nicht mehr übersetzen - demonstriert seinem Opfer die Schändlichkeit des Drogen-handels und macht ihm klar, dass die von ihm Geschädigten schließlich auf so ekelhafte „loan sharks“ wie ihn, Prussia höchstselbst, stoßen. Der kategorische Imperativ als Selbstrechtfertigung des Killers. Hier stoßen wir auf die intrikate Moral eines Gangsters der Polizei, der mit illegalen Mitteln seine hochmorali-schen Zuständigkeiten exekutiert. Diese inhärente Schadhaftigkeit der Konstruk-tion ist das Wesen der Weltkonstruktion schlechthin: Manson war ein nicht ganz erfolgloser Musiker, zeitweise sogar dem Beach Boy Dennis Wilson nahe. Gerade noch hat er seinen neuen Zellennachbarn Phil Spector um musikalische Unterstützung gebeten, den es nun graut, weil doch jeder gute Amerikaner weiß, dass Charles Manson das personifizierte, das pure Böse ist. Marilyn Manson hat sich aus solchen manichäischen Polen eine grell-banale Identität gebastelt, die jene Untrennbarkeit der divinen Oberflächen und der diabolischen Untergründe inkarnieren soll. Nota bene: Wer Marilyn Monroe mag, wird auch an Charles Manson nicht vorbeigehen. Jedenfalls gilt die Äquivokation von Showbiz und Verbrechen in der Aufmerksamkeitsökonomie, in der moralische Besetzungen keine signifikante Rolle mehr spielen. Thomas Pynchon beschreibt hier „Inter-penetrationen“, die zum kriminellen Alltag Amerikas gehören und längst die Frontenlogik verlassen haben – was je das Wissen der Neocons war. Das Gute ist nicht das Böse, das man lässt, sondern entsteht in dem Bösen, das man tut. Der Begriff aus der Versicherungsbranche „Inherent Vice“ heißt in Pynchons Lesart, dass Manson das Überraschungs-Ei ist, das als böse Beigabe in der Hippie-Liebespackung zerplatzt und hochtoxisch alle Blütenträume verdirbt.

Jene Lektüren, die wie zahlreiche Rezensionen hier allein den psychedelisch hochgekitzelten Krimi lesen, bleiben an der Oberfläche, was zwar Surfern und anderen Äquilibristen als idealtypische Bewegung erscheint, doch diese hochgradig verschaltete Supermythe nicht erreicht. Thomas Pynchon ist in diesem ironisch-nostalgischen „Krimi“ nicht weniger als in seinen schwergewichtigen Werken der radikale Trickster geblieben, dessen wertvollste Lehre lautet: Para-noia ist die Mutter aller literarischen Erfindungen. Auch Manson war professio-neller Paranoiker, der in den Liedern der Beatles geheime Botschaften hörte: „Helter Skelter“ bzw. historisch genauer der mit Blut geschriebene Schriftzug „Healter Skelter“. Angeblich wusste Charlie nicht, dass es sich bei diesem briti-schen Begriff um eine Rutsche handelte, von denen seine Engel der Apokalypse, die „Beatles“ handelten. Sollte der ganze Schrecken ein simpler semantischer Irrtum sein – inherent interpretation? Doch wer so redet, begreift nicht, dass die Paranoia immer ihren Weg findet – so wie das Leben selbst. Letzter Gebrauchshinweis: Pynchon liest man nicht, man inhaliert oder injiziert ihn. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Rezensenten oder Vorleser.

Goedart Palm

9/25/2009

SPIEGEL online - fast ein Requiem

Man vergleiche SPIEGEL online mit dem SPIEGEL der sechziger oder siebziger Jahre, sofort wird klar, wo der Online-Journalismus hinführt. Es nicht nur die Packung Buntes, die verstört, sondern die Aufmerksamkeitsflucht, die Berichte nur noch als "Häppchen" begreift. Wir erleben das Ende des Diskurses. Die Lust, den SPIEGEL zu lesen, die einen jeden Montag erfüllte, ist lang dahin. Jetzt regiert allein die instantane Informationsbefriedigungssucht: Wir inhalieren Informationen.

Goedart Palm

9/21/2009

Gelesen werden

Ich habe keine Sorge, gelesen zu werden. Allerdings sinkt die Zahl der guten Leser stetig. Also machen wir uns geschmeidig oder rechnen nur noch auf wenige. Sub specie aeternitatis, und warum sollte man je einen anderen Maßstab wählen, zählt es wenig. Also werden wir die Leser finden, die uns angemessen sind.

Goedart Palm

Brechers Fiasko - Martin Kessel

Goedart Palm, was lesen Sie gerade?

Martin Kessels Büro-Roman, man kann die Kakteen geradewegs riechen, aber die exzessiven Introspektionen, Verwicklungen und Verschlingungen lassen diesen Text in die erste Reihe vorrücken. Noch hat sich keiner der Mühe unterzogen, diesen Text aphoristisch nachzubereiten. Kessel neigt nämlich dazu, aufklärende Lichter, was auch sonst, zu präsentieren. Demnächst vielleicht mehr.

Goedart Palm

Ulrich Sonnemann - eine Zumutbarkeit?

Goedart Palm, was lesen Sie gerade?

Mancherlei, aber insbesondere: Sonnemann, Ulrich - Das Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten. Deutsche Reflexionen Reinbek, Rowohlt Verlag, 1963.Diese Sprache ist eine Zumutung, von der ich noch nicht entscheiden möchte, ob ich der schlechte Leser oder Sonnemann der tendenziell unzumutbare Autor ist. Sonnemann schreibt einen bizarren Stil, der auf einige seiner Themen bezogen, (vielleicht) notwendig sein könnte. Viel Prätention, keine Frage, Adorno Adept wie viele, aber ein versierter Autor mit vielen Hintergründen. Ich kann mich noch nicht entscheiden, ob ich hier einem Scharlatan folge oder einem veritablen Selbstdenker.

Goedart Palm, für die Leser, die den Namen "Sonnemann" zum ersten Mal hören...

9/18/2009

Favourite Beethoven Blueboy

Ludwig van B. und andere Highlights



Disput um das Grundgesetz. Ludwig van B. im ehemaligen Parlamentsgebäude - Künstler und Politiker streiten sich im Theaterstück "Götterfunken" von Ludwig van B.

Ludwig van B. greift ein - ein Disput im Parlament



Theater im ehemaligen Bundestag: "Götterfunken".

YouTube - Ludwig van B.




Marcel Reich-Ranicki - Thomas Mann - Ludwig van Beethoven im wilden Disput. Schauplatz: Altes Wasserwerk im ehemaligen Plenarsaal des Deutschen Bundestags.

Beethoven psychedelisch - hip hop hip



Bach, Mozart und Beethoven wurden als Rockstars in die so called U-Musik aufgenommen. Hier eine Darstellung, die uns tief in die siebziger Jahre zurückführt.

Goedart Palm

Mehr zu Beethoven, Ludwig van B. und dem Musiktheater in Bonn unter
YouTube zu finden.

9/09/2009

Die Schlacht von Ver-Worringen

Wikipedia schreibt: "Die Kampfweise der bergischen Bauern und der Kölner Miliz wird dergestalt beschrieben, dass sie auf alles und jeden einschlugen, egal ob Feind oder Freund. Vermutlich lag dies auch daran, dass sie die meisten Wappen nicht kannten und deswegen kaum zwischen Feind und Freund unterscheiden konnten."

Sollte es so gewesen sein, bestätigt das meinen Glauben, dass dem alten und neuen Liedgut so überhaupt nicht zu trauen ist. Aber dieses bei wikipedia festgehaltene Kampfverhalten begründet das Desiderat, mal eine Geschichte über "friendly fire" zu schreiben.

9/08/2009

Danny Gatton - ein kleines Requiem

Das Konzert 9-9-94 macht klar, was auf der Gitarre geht: Kurze Zeit begeht Gatton Selbstmord. Er wäre zu simpel zu behaupten, dass der Höhepunkt zu erreichen ist und danach das Genie erlischt. Der Stil ist nervös, eigentlich immer gereizt - es gibt Gitarristen, die solche Stile habitualisieren und Lichtjahre davon entfernt spielen. Der Blues beginnt dann mit der Aufführung. Gatton ist dagegen unberechenbar, er spielt mit dem Stil selbst. Deshalb gehört er zu den ganz, ganz Großen der Zunft. Immer will er noch etwas mehr erzählen und landet deshalb nie in den Klischees, die für die Zunft so typisch geworden sind.

Goedart Palm

Webdiarium von Goedart Palm: Bühne frei für Beethoven - Impressionen 2009

Bühne frei für Beethoven

Impressionen I


Impressionen II

Bühne frei für Beethoven - Impressionen 2009

Politik und Journalismus

Politik ist als hermeneutischer Vorwand überholt. Journalisten wurden zu dem, was sie sind, weil sie glauben, Politik sei interpretierbar. Das Volk, was immer das ist, sei aufklärungsbedürftig. Doch das folgt einem simplen Mechanismus. Politik sagt nicht die Wahrheit, also braucht es den Weg zur Sonne der Aufklärung. Journalismus ist danach eine Königsdisziplin, deren Aufklärungsverhalten nicht weniger berechenbar ist als das Objekt der Aufklärung selbst. Insofern ist "Qualitätsjournalismus" nur ein decorum, das in der Apologie der Politik selbst zum Bestandteil derselben wird. Morgen wird das keiner mehr nachfragen. Der Beleg ist unter anderem die neue Instantaneität des Mediums "Internet", das sich augenscheinlich der Information und nicht der Kommentierung verschreibt. Zwar ist "Information" alles andere als ein einfache Größe, aber in ihrem Anspruch autonom.

Goedart Palm

Dazu mein "Klassiker" >> Journalismus und Mediendämmerung >>

Ferner auch: Die Banalität der Guten
Goedart Palm 20.09.2009

Politik in den Zeiten von Pest und Cholera

9/07/2009

Wenn Medien müssen..

"Die Medien müssen ihre Arbeitsweise der technologischen Realität anpassen, statt sie zu ignorieren oder zu bekämpfen. Sie haben die Pflicht, auf Basis der zur Verfügung stehenden Technik den bestmöglichen Journalismus zu entwickeln - das schließt neue journalistische Produkte und Methoden mit ein."

Dieses Verständnis bereitet Schmerzen. Es entsteht der Eindruck, als würden diese Verfasser glauben, Medien seien durch Präskriptionen in die richtige Richtung zu bewegen. Was ist denn, wenn sich die "Medien" nicht an die hier verordneten Regeln halten? Medien haben überhaupt keine "Pflichten", sondern es gibt einen mehr oder weniger medienevolutionären Druck auf Menschen, die Schwierigkeiten haben, mit "ihren" Medien Schritt zu halten. Diesem Druck entspricht man/frau oder geht halt unter. Dieses Phänomen ethisch zu glasieren, ist methodisch und medienkompetenziell unsinnig. Saubere Beschreibungen statt Manifest-Gesäusel wäre notwendig. Reflexiv betrachtet ist diese Sollensaussage zu den Medien, die ohnehin einem antiquierten Diskurs folgt, eine Nullaussage. Völlig abhanden kommen hier Mediendynamiken, die mit solcherlei pastörlich gravitätischem Gerede eben nicht zu fassen sind.

Goedart Palm

Internet-Manifest

Autoren, die Internet-Manifeste verfassen, erscheinen mir weitestgehend naiv. Diese Mode war schon im Zuge der klassischen Avantgarde-Bewegungen ein fragwürdiger Verlautbarungsmodus. Doch damals waren die Herrschaften noch mediennaiv und die Attitüde war verzeihlich. Wer heute einen Moloch wie das "Internet" nach-manifestiert, wählt dagegen einen Gestus, der vielleicht dem Bild entspricht, einen T.Rex zu streicheln und auf gute Zeiten zu rechnen.

Goedart Palm

Bühne frei für Beethoven 2009


General-Anzeiger 07.09.2009 zitiert die Oberbürgermeisterin und resümiert:

"Ohne junge Menschen, die musizieren, gibt es kein stabiles Beethovenfest", lautete ihre Botschaft, bevor Beethovenfest-Intendantin Ilona Schmiel eine prächtige Traube orangefarbener Ballons in den Himmel schicken ließ. Das Bonner Jugendsinfonieorchester spielte die Straußsche Fledermaus, Tschaikowsky und Dvorak. Stellvertretend für die eindrucksvolle organisatorische Anstrengung von Instrumentallehrern und Musiklehrern ging ein Dank an Solveig Palm vom Netzwerk "Ludwig van B.", verantwortlich für die Konzeption der Veranstaltung."

9/05/2009

Bühne frei für Beethoven - Impressionen 2009

Bühne frei für Beethoven 2009


Manfred van Rey, Maria-Theresia van Schewick, Stephan Eisel (im vollen Einsatz auf der Bühne spielt Boogie und mehr)

Bühne frei für Beethoven 2009


05.09.2009 Vor dem Beethovenhaus

Maria-Theresia van Schewick, Solveig Palm, Manfred van Rey

Technik und Ethik

Ich habe einen Traum: Ein Diskurs über Technik ohne das Wort "Ethik" einmal zu gebrauchen. Die gegenwärtigen Ethikdiskurse über Technik drücken eine grundlegende Hilflosigkeit gegenüber der Technik aus. Könnte es ethisch sein, auf Ethik in der bekannten Form, also in aller unverbindlicher Fragilität, zu verzichten? Freilich wagen das unsere Ethiker nicht zu sagen, sie würde so bedeutungslos erscheinen, wie sie vermutlich sind.

Goedart Palm

9/03/2009

Der multiple Beethoven


In Grunde ist der "genius loci" inzwischen ausgereizt, in Bonn freut man und frau sich, wenn auch andere Helden auftauchen. Beethoven, der Ubiquitäre - so beschwören wir das Festspielhaus und alle andere musikalischen Großartigkeiten. Grotesk ist die Überblendung der Musik durch die Beethoven-Ikonen, die uns im Prinzip auf eine Biografie zurückführen, die höchst ambivalent erscheint.

9/02/2009

Beethoven für die Jugend - Ludwig van B.

WDR 3 am 02.09.2009

Programmnotiz des WDR 3:

"Beethoven mit schlechter Laune
Der ewig bärbeißige Ludwig van Beethoven wirkte auf Kinder vermutlich respekteinflößend, vielleicht sogar beängstigend. Für seine Werke muss das aber nicht gelten. Den Beweis tritt das Jugendprogramm des Beethovenfestes an– mit Workshops, Geistern und… Clowns. Ob der große Meister die allerdings gebilligt hätte?

WDR 3 TonArt hat Solveig Palm vom Netzwerk “Ludwig van B.” zu Gast und spricht mit ihr und der jungen Pianistin Luisa Imorde über die Idee und Umsetzung dieses Jugendprogramms."

8/28/2009

The Golden Fang



Inherent Vice - Rezension

Ludwig van B. - Neuigkeiten

"Ludwig van B. - Netzwerk Schule und Kultur für musikalische Jugendarbeit in Bonn", 2008/2009 gegründet, ist ein Zusammenschluss aus mehr als 30 Schulen und rund zehn Kulturinstitutionen aus Bonn und Umgebung, die sich das Ziel gesetzt hat,begleitend zum Beethovenfest junge Menschen an anspruchsvolle Musik heranzuführen." Zitat General-Anzeiger mehr unter >>

8/26/2009

Inherent Vice - Thomas Pynchon

Ihr wartet mit Spannung auf meine Rezension, demnächst, hier schon mal ein Vorgeschmack:



Inherent Vice

8/25/2009

Toskanische Studie


Auf den Spuren der Romantiker, Franz Horny, Ernst Fries, Nerly etc.

8/22/2009

Ignazio Lucibello


Heute möchte ich an Ignazio Lucibello erinnern:

Anfang der 50er Jahre entstanden, ein Brunnen in bzw. genauer gesagt einige Meter vor dem Ortseingang von Cortona.

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