Zur „Demokratisierung“ des Festspielhauses Beethoven
Kunst und Demokratie sollten in den siebziger Jahren zusammenkommen. Wenn eine Gesellschaft mehr Demokratie wagen sollte, wieso sollte das nicht auch für die "Kunst" gelten? Schnell differenzierte sich dieser Diskurs: Eine Mitbestimmung in künstlerischen Angelegenheiten sei nicht akzeptabel. Der Künstler müsse in seinen künstlerischen Entscheidungen frei sein. Doch Rahmenbedingungen künstlerischer Praxis seien demokratiefähig. Diese einfache Dichotomie harmonisierte nicht alle Probleme. Wie sieht Mitbestimmung in der Oper aus? Lassen sich hier oder im Theater künstlerische und nichtkünstlerische Inhalte gut trennen? Diese Verbindungslinie zwischen Kunst und Demokratie blieb fragil und war kaum je geeignet, notwendige oder auch nur plausible Entscheidungen zu begründen. Die Diskussion um das Bonner Festspielhaus "Beethoven" ist nun auch an diesen Punkt gelangt. Eine Volksabstimmung über Bau oder Nichtbau soll die Frage sein. Ob es nicht edler im Gemüt wäre, künstlerische Kriterien gegen eine Mehrheit zu verteidigen, brauchen wir also gegenwärtig nicht mehr zu entscheiden. Die Abstimmung über den Musentempel quadriert den erlauchten Zirkel. Denn die dort repräsentierte Kultur ist die eines kleinen Kreises, den dieser Kreis freilich aus mehr oder weniger beachtlichen Gründen erweitern möchte. Würden Mehrheitsargumente oder Bedarfskriterien zählen, wäre historisch nicht viel Kultur entstanden. Vermutlich hätten sich Sklaven nicht zum Bau der Pyramiden bewegen lassen. Aus diesem Argument ist weder für die gegenwärtige Existenz der Pyramiden noch für die Frage, ob man noch mehr Kultur produzieren soll, wenn die Grundbedürfnisse anderer Menschen unbefriedigt bleiben, viel zu gewinnen. Kultur ist Luxus, was sich nicht erst im Blick auf das globale Chaos von Not und Armut erhellt. Insofern sind Kulturausgaben regelmäßig mit moralischen Hypotheken belastet, was den Genuss des kulturbeflissenen Publikums differenzieren sollte. Andererseits hilft Kultur vielleicht bei der Besserung und Erziehung des Menschengeschlechts, sodass auf sehr indirekten Wegen die Kultur doch ihre eigene Art von Notwendigkeit behaupten darf.
Statt allerdings diese schwer bis nicht entscheidbaren Fragen nach der kulturellen Fundierung von Gesellschaften zu wälzen, könnte man hier schlicht nach möglichen Verlaufsformen und Effekten der Abstimmung fragen. "Die Bürgerschaft einbeziehen - Wichtig ist, dass die Bürgerinnen und Bürger auch weiterhin auf dem Weg hin zur Realisierung „mitgenommen“ werden. Dieses wird nur dann erfolgreich, wenn die Bürgerschaft es auch akzeptiert und sich beteiligt fühlt", heißt es auf der Website von Markus Schuck, des Obmanns der CDU-Ratsfraktion im Kulturausschuss. Das ist einvernehmlich und konsensorientiert formuliert, doch die Schräglage einer solchen Mitbestimmung wird hier ausgeblendet. Einem größeren Teil der Bürger dürften Existenz oder Nichtexistenz eines Festspielhauses keine Nachfrage wert sein. Wenn es gelingt, breite Kreise überhaupt zu einer Reaktion zu bewegen, wird die Abstimmung negativ ausfallen. Wer wenig Geld in der Tasche hat, hat wohl kaum Sympathie für Kulturprojekte, an denen er letztlich eher nicht partizipieren wird. Klassik hat, von einigen Prestigeveranstaltungen abgesehen, nur eine kleine Fangemeinde. Warum keine Rock-Arena? Warum kein Sport-Stadion? Wer wie Nimptsch demokratisieren will, gerät in diesen Begründungsregress.
Einige vertrauen auf die Gunst der Bürger, weil die diversen Beteiligten versichern, dass die Stadt Bonn keinen Cent für das fürstliche Haus zahlen wird. Hier wird mal wieder die Zukunft antizipiert. Kostenfallen existieren, wie es unzählige Bauprojekte demonstrieren, zahlreich. Im Übrigen ist das Argument, dass das Festspielhaus nichts kostet, auch kein Plädoyer für die Kunst, sondern eine bloße Beschwichtigung. Ein echtes Bekenntnis zu Kunst und Kultur sieht völlig anders aus. Wenn der Bürger nach sachlichen Kriterien entscheiden soll, dürfte die Beteiligung an der demokratischen Kultur auch nicht weit reichen.
"Wie viel Festspielhaus hätten Sie denn gern", führt uns zu der Frage zurück, wie viele Pyramiden kulturell wünschbar sind. Denn wenn auch notwendige Kapazitäten der Kultur beschworen werden, lässt sich im Zeitalter der virtuellen Reproduzierbarkeit per Internet und Silberscheibe daraus kein überzeugendes Argument gewinnen. Vermutlich lässt sich das Festspielhaus argumentativ überhaupt nicht rechtfertigen: Man macht es oder lässt es. Der Rest ist Palaver. Denn welche Entscheidung man auf welchem Wege, plebiszitär, kommunalparlamentarisch oder verwaltungsbürokratisch, auch trifft, ändert doch nichts an der Konsequenz, dass irgendwer hinterher immer weiß, dass man es hätte anders machen müssen. Die Diskussion um das Festspielhaus ist gefährdet, sich zu einer Farce zu entwickeln, weil die Qual der Entscheidung nun durch Eiertänze ersetzt wird, denen nicht abzulesen ist, ob es sich bereits um Absetzbewegungen einiger vormals Entschlossener handelt oder kulturelle Zahnlosigkeit. Kultureller Enthusiasmus sieht jedenfalls anders aus. Zum Bild einer administrativ zähen Kulturpolitik passt die gegenwärtige Entwicklung indes schon - mit oder ohne Abstimmung.
Dr. Goedart Palm
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