...wobei das revolutionäre Outfit von Karl Marx seit je die
sozialistische Adaption von Santa Claus zur einfachsten Übung
werden ließ. Letztlich liegen die paradiesische
Postgesellschaft und die ubiquitäre wechselseitige Beschenkung
ja auch ideologisch dicht beieinander. Der greifbare Unterschied
indes verbleibt: Karl Marx dürfte nach derzeitigem
Erkenntnisstand kein Geschöpf von Coca Cola sein...
Goedart Palm
12/12/2014
12/05/2014
Illusionismus - Mimesis - Transzendenz
Sind Naturnachbildung, Illusionismus und viele Varianten die maßgebliche Quelle künstlerischer Erfindung?
Wilhelm Worringer war anderer Auffassung. Die Kunst
schaffe zunächst mit abstrakten Formen (etwa Pyramiden) ein Herrschafts- und
Schutzsystem gegen die Undurchschaubarkeit und Gefahren einer äußeren Welt.
Erst später komme es dann mit wachsender Vertrautheit und Kenntnis der Natur
zur Naturnachahmung. Dialektisch ist zumindest der Gedanke, dass mächtige
Antriebe der Kunst darin bestehen, die Natur zu überformen, zu verdrängen, zu
transzendieren, was spätestens seit dem Kubismus mit besonderer Radikalität
augenfällig wird. Insoweit bewegen sich Künstler in einer
"Schöpfungskonkurrenz" zum vermeintlich Natürlichen. Gegenüber zahlreichen
Formkonzepten, die den mimetischen Impuls hintertreiben, müssen sich alle
Augentäuscher und Illusionisten ohnehin fragen lassen, welche magische
Bedeutung ihre von Platon verworfene Verdoppelung der Welt überhaupt haben soll.
Goedart Palm
11/25/2014
Reauratisierung
Der sprichwörtliche Verlust der
Aura durch Massenreproduktion ist an sich nicht beklagenswert, weil sie doch
die Beteiligungschancen des Publikums an Kunst zudem in Zeiten des Internets
enorm vergrößert. Dass Künstlerfotografen das durch "Reauratisierung"
von Abzügen wieder aus einem legitimen ökonomischen Interesse heraus wettmachen
wollen ist legitim bis überlebensnotwendig. Aber das Publikum, das sich erst im
Zugriff auf ein Quasioriginal in den höheren Weihesphären der Kunst
wiederzufinden glaubt, ist rückläufig. Die Demontage des Originals als
Kategorie künstlerischer Welterschließung ist für ein jüngeres Publikum so
selbstverständlich geworden, dass auch die Museen als exklusive
Wahrnehmungsagenturen noch längst nicht alle Schrecken erlebt haben, die noch
bevorstehen...
Goedart Palm
Mein wunderbarer "Wirrpool"
Im Badezimmer präsentieren sich heute
als Badezusatzverheißungen "Glückliche Auszeit" und "Magischer
Orient". Wie hätte Buridan auf diese ölige Transzendenz des Alltäglichen reagiert?
Indes, ob man hier dem hydrotherapeutischen Branding "Kneipp" überhaupt
vertrauen kann, wenn es um orientalische Lüste im semantischen
"Wirrpool" geht. Oder hätte sich der Pfarrer im Zuber gedreht, seinen
Namen auf diesen bunten Plastikbechern mit den teuflischen Versprechen zu lesen?
"Glückliche Auszeit" verstrahlt laut Hersteller die Ingredienzien
"Roter Mohn" und "Hanf". Wer das Badewasser so rot
einlaufen lässt, positioniert sich allerdings in der Cannabis-Debatte. Vielleicht
doch lieber "Magischer Orient", der dich mit Omanthus, Babassu und Dattel
zum preisgünstigen Instant-Sultan, wenigstens aber "Lawrence of
Gelsenkirchen" werden lässt. Vor allem aber garantiert das Öl "lang anhaltenden
Schaum", der sich mir vor soviel unentscheidbaren Glücksversprechen gleich
vor dem Munde kräuseln wird. Vielleicht hinterher noch eine antidämonologische Isis-Creme,
wenn die denn im Sortiment ist oder aus außerolfaktorischen Gründen bereits
wieder verbannt werden musste. Die dialektische Lösung will mir scheinen, wäre
doch die, sich eine glückliche Auszeit vom magischen Orient zu nehmen - soweit
sich das auf Flaschen ziehen lässt.
Goedart Palm
Wie werde ich Surrealist?
Der Vater von Max Ernst malte ein Bild und konstatierte,
dass er vergessen hatte, einen Ast abzubilden. Was tat er? Das Bild war
schließlich fertig. Natürlich, er sägte den Ast vom "Original" ab. So
werden Söhne zu Surrealisten.
Goedart Palm
11/17/2014
Zur "Bearbeutung" der Literatur
In einer digitalen Hanns
Heinz Ewers-Werkesammlung lese ich den Vermerk "bearbeutet"
von XY. Das lobe ich mir! Als anspruchsvoller Leser will ich mehr als eine
einfache Bearbeitung nach neuesten oder ältesten Duden-Regelungen. Simple
Rechtschreibung war gestern. Vom Bearbeuter erwarte ich eine kongeniale Text(aus)beute.
So wie oft genug der Lektor erst den literarischen Erfolg großer Literatur sichert,
wird die Bearbeutung zur ästhetischen Vollnutzung, zur raffiniertesten Politur
güldener Stellen. Die einzige Angst, die mich umtreibt, dass spätere Bearbeiter
die "Bearbeutung" wieder auf das elementare Niveau einer "Bearbeitung"
nivellieren...(Übrigens: Dieser Text wurde bisher nicht
"bearbeutet".)
Goedart Palm
10/30/2014
Das digitale Gespenst der Freiheit
Eben meldet mir ein soziales
Netzwerk (nicht FB), dass im Fall eines meiner Bekannten ein
Kommunikationsinteresse bestehen könnte. Klar, ständig aktualisieren sich
unsere Kontakte und wir müssen uns sputen, nicht in das kommunikative Abseits
zu geraten. Nun ist dieser Bekannte allerdings verstorben. In Zeiten von
zahllosen "Schläfern", ob Terroristen oder FB-Freunden, heißt das aber
womöglich nicht viel. Freuen wir uns doch lieber, wie überlegen die digitale Netztechnologie
inzwischen zu sein behauptet. Tischrücken war gestern. Wer morgen keine "App"
besitzt, über die Jahrhunderte, über Völker und Generationen hinweg zu
kommunizieren, verschließt sich dem wahren Imperialismus zukünftiger Medien (im
vielfachen Wortsinne). Seit Joseph Weizenbaums "ELIZA" und ihren
virtuellen Überbietungen dürfen wir doch vermuten, dass es bei dieser
Killerapplikation letztlich nicht mehr auf so
schnöde Fragen wie Tod oder Leben ankommt. Wie würde Doc Brown ("Zurück
in die Zukunft") sagen: "Wo wir hinfahren, brauchen wir keine Materie
mehr...
Goedart Palm
10/24/2014
Der Staat verkauft Kunst
Deutlich wird hier die Mentalität, dass ein bunter Fleck
mehr oder weniger an der Wand eine "Petitesse" ist. Insofern sind die
Bilder in den Vorstandsetagen, in den Riesenrezeptionen oder als Bürodekor schon
je Objekte, die nicht der Wahrnehmung welcher Art auch immer dienen, sondern allenfalls
der zu oft leicht widerlegbaren Prätention, dass hier kreative Menschen
produktiv sind. Werden die Bilder abgehängt, ist das ein Akt der Ehrlichkeit.
Die Warhol-Bilder hingen nun bereits seit vier Jahren nicht mehr an der Wand.
Ob das der wahre Skandal ist, der nun im Blick auf zahllose Depots vervielfacht
werden könnte, sei dahingestellt. Jedenfalls ist es ein Fazit, dass Kultur im
engeren Sinne eine Marginalie gesellschaftlicher Agenda bleibt, was vorzüglich
durch Sonntagsreden bestätigt wird, die uns erläutern, wie "existenziell"
die Kunst doch ist.
Goedart Palm
Horst Janssen
Minianekdote: Horst Janssen auf
der Frankfurter Buchmesse vor etlichen Jahren, auf diverse Blätter
"kritzelnd". Er tunkt seinen Zeigefinger in seinen Kaffee und beginnt
die Zeichnung zu lavieren. Seine neben ihm stehende Lebensgefährtin oder
Ehefrau kommentiert weniger entrüstet als wohl routinemäßig: "Lass´ doch
diese Schweinereien..." Da sieht man, was sich selbst arrivierte Künstler
anhören müssen, wenn sie doch nur um den höchsten Ausdruck in ihrer Kunst
ringen.
Goedart Palm
10/21/2014
Kulinarismus in der Kunst?
Seitdem Immanuel Kant glaubte, die Formulierung
"interesseloses Wohlgefallen" bei der Kunstermittlung für oder wider
das Schöne als Königsweg angeben zu können, sind "Kulinariker" je
verdächtig, ohne Urteilskraft wahrzunehmen. Nun ist es einigermaßen grotesk bis
schizoid, sinnliches Material nicht sinnlich - bis hin zur puren Verführung
durch Oberflächen - "wahrzunehmen". Witzigerweise hat Nietzsche, der
mit "tiefen" Gründen für Oberflächen plädierte, die Künstler gewarnt,
sich nicht zu verrechnen: ...denn ihre Zuschauer oder Zuhörer haben nicht mehr
ihre vollen Sinne und geraten, ganz wider die Absicht des Künstlers, durch sein
Kunstwerk in — eine "Heiligkeit" der Empfindung, welche der
Langweiligkeit nahe verwandt ist." Sollte das Kulinarische so langweilig
werden wie das Analytische? Tertium datur?
Goedart Palm
10/14/2014
In den Untiefen der unentdeckten Gemüse-Welten
An der Kasse eines reichhaltig
sortierten Lebensmittel-Supermarkts: Die Kassiererin fragt mich nach dem Namen
des unglaublichen Gegenstands, den ich zu erwerben gedenke. "Rettich!"
Man kann nicht alles kennen, ist ja auch ein seltener "Küchengegenstand."
Das Band läuft weiter, Joghurt und Milch, kein Problem. Jetzt aber: Die
Verkäuferin nimmt zwei Teile, die, ohne sich botanisch festlegen zu wollen, wohl
zu den Gemüseähnlichen oder Marsgewächsen gehören. Ich helfe ihr schnell:
"Artischocken!" Dieser Schock sitzt tief. In ihrer Liste taucht dieser
geheimnisvolle Name zwar auf, aber gleich mehrfach. Sind es vielleicht die "Mini-Artischocken".
Schwer zu sagen bei den heutigen Züchterrekorden. Eine Recherche beginnt. Bis
hin zur hauptamtlichen Leiterin der Gemüseabteilung werden alle Fachleute
versammelt. Eine gefühlte halbe Stunde währt der Gemüsediskurs. Allein, der
Preis ist nicht ermittelbar! Schließlich
springe ich über meinen Nachtschatten. Ihr dürft die Artischocken behalten. In
Zukunft, großes Ehrenwort, kaufe ich nur noch Tomaten. Die kann man nun
bekanntlich auf den Augen haben und deswegen wohl kennt sie auch jeder.
Goedart Palm
10/12/2014
Richard Hamilton
Richard Hamilton war in einem nicht geringen Teil seiner
Werke postmodern vor der Zeit. Verbindlich wird hier über die Ästhetisierung
des Alltäglichen weit hinaus der unhintergehbare Ansatz, dass Kunstgeschichte
in ihr Reflexionsstadium getreten ist. Niemand kann jetzt mehr behaupten,
unmittelbar, ohne die Vor-Bilder des kunstgeschichtlichen Fundus, Bilder zu
machen. Ja selbst die Wahrnehmung hat ihr kunsthistorisches Apriori, sodass der
Anspruch auf Unmittelbarkeit sich entweder einer leeren Prätention oder dem
Unwissen verdankt. Die Promiskuität der Stile ist zugleich ein Angriff auf die
Kategorisierung abgeschlossener Epochen. Kurzum: In Sachen des Stils ist alles
"wahr" und (fast) alles erlaubt - was die Sache nicht einfacher
macht.
Goedart Palm
10/07/2014
Beim Betrachten einer alten Fotografie
Heute erscheint als Inszenierung, was seinerzeit Alltag war.
Goedart Palm
Goedart Palm
9/25/2014
Dandys oder die Liebe zur Natur
Die Kunst wäre nicht da, wo sie ist, wenn es die Natur nicht
gäbe. Aber abgesehen von dieser "Weisheit" gilt, dass die Kunst
mitunter etwas dick aufträgt und die Natur subtiler agiert, was Oscar Wilde
angesichts der Sonnenuntergänge von Turner nicht wahrnahm. Dandys sind
augenscheinlich keine Dialektiker.
Goedart Palm
9/21/2014
Dialektik des Bösen
Es gibt zahllose Dialektiken zwischen Gut und Böse. Der
Faktor "Zeit" spielt hierbei nicht die geringste Rolle: Die Guten von
heute mutieren dann zu den Bösen von morgen und vice versa.
Goedart Palm
9/17/2014
Preisbildung
Meine von mir ständig kolportierte Lieblingsgeschichte: Ein
mir befreundeter Antiquitätenhändler hatte ewig zwei Zwillingsvasen im
Sortiment, die kein Mensch haben wollte. Aus Wut hat er sie dann einige Hundert
DM teurer "werden lassen." Eine Woche später, dann waren sie verkauft...Nota bene: In allen Branchen und Sortimenten werden Preise irrational gebildet. Durch Präferenzmethoden (Anpreisung, Verpackung etc.) können selbst aus Müll Preziosen wuchern. Verhaltensökonomen ist klar, dass es keine reine Leistung gibt. Diese Irrationalitäten folgen indes rational gut rekonstruierbaren Regeln.
Goedart Palm
Wiederholung, immer und immer...
Napoleon sagte, es gäbe nur eine rhetorische Figur: die Wiederholung. Wahrscheinlich ist das auch die Figur, die den Erfolg eines Lebens bestimmt. Wenn man Warren Buffet bitten würde, einem sein Vermögen zu übertragen, würde das auch funktionieren, sofern es sich nur um die wahrscheinlichkeitstheoretisch notwendige Zahl von Wiederholungen handelt.
Goedart Palm
Goedart Palm
9/15/2014
Menschsein
Diogenes und anderen suchten nach "Menschen". Wahrscheinlich glaubt der
Mensch weniger an sein Menschsein, als es vordergründiger Klassifikationslogik
entspricht ("homo homini lupus" etc.).
Goedart Palm
9/12/2014
Vom Elend der Kunstkritik
Text eines deutschen
Kunstkritikers: "Parallel mischen sich per Aufweichung und
mystifizierenden Spiegelungen malerische, poetische Komponenten mit plastischen
oder grafischen Eindrücken."
Heureka, ich wälze
mich. Wann endlich wird mir eine "mystifizierende Spiegelung"
gelingen, um wenigstens zu einer malerischen Fußnote in der Kunstgeschichte zu
werden. Old Shatterhand hatte es noch
gut, als ihn Winnetou unterwies: "Der Knieschuss ist der schwierigste Schuss,
den es gibt. Viele, viele Westmänner, die sonst gute Schützen sind, bringen ihn
nicht fertig."
Ich bringe es auch
nicht fertig. Zwar spiegelte ich mich bei der Lektüre des Morgenfeuilletons
oftmals im Nichts. Aber in meinen der Ewigkeit gewidmeten Werken fehlte es je
an "mystifizierenden Spiegelungen". Nicht einmal weiß ich, wie man
per Aufweichung "poetische Komponenten" mit "plastischen
Eindrücken" mischt. Hätte ich doch vermutet, dass - mit oder ohne Jamie
Oliver erhitzt - kategorialer Kompott daraus wird. Mir schwirbelschwurbelt der
Kopf vor so viel plastischer Poesie. Vielleicht bedarf es der
Gehirnaufweichung, um mystifizierende Pirouetten zu grafischem Zeilengeld zu
verarbeiten.
Goedart Palm
9/11/2014
Der Kaufakt
Bald reicht bereits das bloße "Daran denken", um den Eigentumswechsel herbeizuführen. Die Begrifflichkeit "Dispokredit" sollte aber zuvor, um den öffentlichen Frieden zu wahren, abgeschafft werden.
Goedart Palm
Goedart Palm
Der Blick der Verführerin
Es gibt Formen von Laszivität, die sehr stark an der eigenen Demontage arbeiten...
Goedart Palm
Goedart Palm
9/10/2014
Russell Edwards solved the puzzle (10.09.2014)
Russell Edwards solved the puzzle (10.09.2014)
Nachdem ich sämtliche wichtigen Darstellungen zu den Ripper-Morden gelesen habe, ist für mich erwiesen, dass Russell Edwards definitiv die Lösung gefunden hat. Die DNA-Untersuchungen an diesem Objekt sind eindeutig. Einige Kritiker übersehen, dass das Objekt selbst für den Fall, dass die Provenienz ungesichert wäre, eine Sensation bliebe. Wie anders sollen DNA-Spuren von Kosminski-Nachfahren und des Opfers Catharine Eddowes auf diesen Schal gelangt sein? Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Schal mit solchen Spuren findet, ist, selbst wenn man den ganzen rekonstruktiven Hintergrund, insbesondere der verschlungenen Wege der Tradierung dieses Beweisstücks, ausblenden würde, so gering, dass der Schal für sich betrachtet schon Beweis genug wäre.
Die "Michelmas Daisies"-Ausführungen sind genial und höchst plausibel, weil Schizophrene wie Aaron Kosminski stark dazu tendieren, semantisch-symbolische Bezüge herzustellen. Wer sich selbst für Gott hält bzw. glaubt, mit ihm in unmittelbarer Kommunikation zu stehen, mag sich auch leicht für den heiligen Michael oder dessen Gefolgsmann halten, das "Werk des Herrn" zu vollstrecken. Doch diese Bezüge braucht es gar nicht, um diesen Sensationsfund vor alle anderen ripperologischen Erkenntnisse zu stellen.
Der Kommentar der FAZ (Gina Thomas) vom 08.09.2014 zu diesen neuen Erkenntnissen in der Ripper-Sache ist dagegen unangemessen, weil keinerlei Evaluation gegenüber den zahlreichen unsubstantiierten Beiträgen zur Ripperforschung in den letzten Jahren geleistet wird. Es ist nicht "wieder einmal" ein Ripper entlarvt worden. Edwards` Darlegung ist nach mehreren Seiten hin abgesichert. Alle alternativen hypothetischen Kausalverläufe zur Herkunft des Schals und der Täter-DNA sind abwegig.
Im Übrigen sollte nach wie vor nicht verkannt werden, dass mehrere Vertreter von Scotland Yard ohne zu zögen, Aaron Kosminski als Täter bezeichnet haben. Melville CID Leslie Macnaghten schrieb in seinem Memorandum über den Verdächtigen Kosminski: "He had a great hatred of women, specially of the prostitute class, & had strong homicidal tendencies: he was removed to a lunatic asylum about March 1889. There were many circumstances connected with this man which made him a strong 'suspect'." Auch wenn das Ungenauigkeiten aufweist, ist der Kern der Aussage klar. Es muss Zeugenaussagen oder Vernehmungsprotokolle gegeben haben, die eindeutig belegen, dass sich der Hass von Kosminski gerade auf die einschlägige Opfergruppe bezog. "Homicidal tendencies" ist eine Feststellung, die Macnaghten sicher auch nicht erfunden hat. Der Umstand, dass keine korrespondierenden Belege bisher vorgelegt wurden, spricht nicht gegen Machnaghtens Aussage. Es handelt sich hier um eine skizzierende Zusammenfassung von Ergebnissen, der höchste Bedeutung zukommt. Da nun die beiden Polizeibeamten Donald Swanson und Robert Anderson denselben Namen nennen, muss man bereits zu sehr abgelegenen Hilfshypothesen greifen, um diese Nennung zu relativieren. Auch hier geht es um die typische Natur einer Erinnerung, die Kerninhalte angibt, aber bei Daten fehlerhaft sein mag. Diese "base-rate"-Überlegungen runden die Darlegungen von Russell Edwards ab. Zuvor war Robert House auf anderen Wegen zu demselben Ergebnis gekommen. Die Kritiker dagegen bescheiden sich auf angebliche Namensverwechslungen: Der "John Doe" Martin Fidos ist unplausibel. Unplausibel sind auch die Unterstellungen über die angebliche Mentalität Kosminskis, die Gewaltexzesse unmöglich machen. Es bleibt bei der Überlegung, dass Informationen und Erinnerungen in einer Bedeutungshierarchie stehen und häufig Nebenaspekte überbewertet werden, was in der Forensik eine geläufige Erscheinung ist.
Es ist im höchsten Maße verdienstvoll, dass nach zahllosen Irrungen und Wirrungen von vielen - vor allem forensisch - völlig unzulänglichen Theoretikern nun die erste schlüssige, wissenschaftlich abgesicherte Version zu den Ripper-Taten vorliegt. Die Kritik an Russell Edwards belegt indes womöglich, dass das Rätsel nach wie vor erhalten werden soll, weil dieser Mythos als ungelöster eine höhere Anziehungskraft besitzt als ein eindeutiger Beweis, der den Täter nicht länger zum Spekulationsobjekt macht.
Nicht nachvollziehbar bleibt, dass Scotland Yard die Originalakten des Falles nicht zur Verfügung stellt. Trevor Marriott versuchte letztinstanzlich vergeblich Akteneinsicht zu erhalten. Der Hintergrund für die Weigerung ist, dass Informanten nicht mehr Scotland Yard vertrauen könnten, wenn ihre Identität preisgegeben würde. Vielleicht wäre die Entdeckung von Russell Edwards, an der Scotland Yard nach seiner Aussage interessiert sein soll, nun ein Anlass, die Geheimhaltungspolitik zu relativieren. Immerhin sind nach mehr als 125 Jahren Persönlichkeitsrechtsverletzungen oder Vertrauensbrüche doch eher unwahrscheinlich.
Russell Edwards solved the puzzle? Absolutely!
Goedart Palm
9/08/2014
Das Verschwinden der Kunstkritik
Die Kriterienlosigkeit der Kunst respektive der Kunstkritik
mag so positiv wie negativ gedeutet werden: Einerseits erscheint sie als
Ausdruck eines lauwarmen Wertepluralismus, vormals "de gustibus non est
disputandum" genannt, andererseits als ökonomische Durchdringung, um nicht
Demontage zu sagen, der Kunst in ihrem "Eigensten". Für Religionen
halten Menschen, Spätmoderne hin oder her, ihren Kopf hin, die einen
freiwillig, die anderen eher nicht. Für Kunst hat man dagegen ein Scheckheft.
Oder aber übersetzt sie in ein relativ folgenloses Ideal, für das kaum mehr ein
gesellschaftliches Sensorium zu erwarten ist. Das vormalige Pathos der Kunst
ist dahin, da ihre zu Hochzeiten angemaßte Allzuständigkeit sich längst für die
Meisten in Nichtzuständigkeit verwandelt hat...
Goedart Palm
9/07/2014
Auf der Suche nach den verlorenen Büchern
Bücher suchen macht keinen Spaß. Deshalb sofort neu kaufen!
Im Übrigen sind verlorene Bücher noch nicht ganz abhanden gekommen. Das größere
Dilemma sind Bücher, die aus dem eigenen Gedächtnis verschwunden sind und die
man deshalb selbst dann nicht besitzt, wenn man sie besitzt.
Goedart Palm
9/01/2014
Zitatenschatz
Meine schönste Zitatgeschichte: Irrtümlich habe ich einem
Autor ein Zitat "zugeordnet", was dann später auf eine Website
heftige Diskussionen auslöste und dazu führte, dass ich wohl meine Gründe dafür
gehabt haben müsse, da ich ja unzweifelhaft den "Fehler" absichtlich
gemacht habe. So einfach kann Narzissmus befriedigt werden...
Goedart Palm
Für immer Frieden!
Allerdings sind menschenverachtende Ideologien welcher
Couleur auch immer mächtige Motoren, die jenseits der moralischen Betrachtung
Mensch und Welt hochdynamisch gestalten. Insofern alle mephistophelischen
Veranstaltungen ihre je eigenen Rechtfertigungen besitzen, sollte man bei der evolutionären
Konstruktion der Welt die Frage stellen dürfen, warum das so ist. Denn der
mehrtausendjährige moralische Aufwand hat den Irrsinn der tödlich dogmatischen
Menschheitsbeglückungen nicht so entscheidend verringert. Wir liefern jetzt
Menschen mit mehr oder weniger integren Absichten Waffen, um Menschen mit
illegitimen Plänen von ihrem selbstgewissen Weg abzubringen. Die Folgen sind
unabsehbar. Hier möchte man sich nur in die Paradoxie flüchten: "An
Fortschritt glauben heißt nicht: glauben, dass ein Fortschritt schon geschehen
ist." (Franz Kafka)
Goedart Palm
8/27/2014
"Klassiker sind Klassiker, weil sie Klassiker sind"
Niklas Luhmann sprach zwar nicht explizit von Beethoven, Goethe oder Raffael. Doch ob nun Soziologen oder Künstler betrachtet werden, immer umgibt den Klassiker die Aura immerwährender Gültigkeit. Dass Klassiker in ihrer "Transzendenz" zugleich notwendig anachronistisch sind, wollen Klassikfans nicht wahrhaben. Die prästabilierte Harmonie des Klassischen könnte so leiden, dass dahinter die fiese Gegenwart erscheint, die sich von keinem Klassiker kurieren lassen will. Wer von der Klassik profitieren will, müsste erst mal angeben, worin sich die Gegenwart von Formen der vermeintlich klassischen Vergangenheit substantiiert unterscheidet. Hier werden sie oft still, die Klassikliebhaber.
Goedart Palm
Goedart Palm
8/26/2014
Zur Rettung des Museums
In Zeiten der Inklusion und
Exklusivität, insbesondere aber der nervenzerreibenden Geschäftigkeit der
Städte möchte mir die Seklusion als wertvolles Gut erscheinen. Museen sind
herausragende Orte der Seklusivität, wo du wieder bei dir bist, weil dich - von
gehypten Sonderausstellungen abgesehen - niemand stört. Neulich Kunstmuseum
Gelsenkirchen-Buer: Ich bedeute der Museumswärterin, dass ich mir auch den
"alten" Teil der Sammlung (1. Hälfte des 20. Jh. mit teilweise
beachtlichen Werken) ansehen werde. Mit leichtem Erstaunen ob des Erscheinens
eines Interessierten heuchelt sie Selbstverständlichkeit. Selbstverständlich
ist nur der Umstand, dass ich der einzige Besucher bin. Das ist meine
gewöhnlichste Kondition. Hier bist du Mensch, hier bist du allein. Anstelle des
Klosters ist nun vor allem das kommunale Museum ein Mausoleum der
Selbstbesinnung, das im öffentlichen Budget nicht von Besucherzahlen abhängig
gemacht werden darf, sondern von seinem Alleinstellungsmerkmal, müden Flaneuren
köstliche Einsamkeit zu gewähren.
Goedart Palm
8/23/2014
8/16/2014
Vorsicht, letzte Menschen!
Man mag zwar Nietzsches
"Letzten Menschen" zitieren, der "das Glück erfunden" hat:
"Man hat sein Lüstchen für den Tag und sein Lüstchen für die Nacht: aber
man ehrt die Gesundheit." Das Schicksal selbst lässt sich trotz so bemühter
Wirklichkeitsbesänftigung noch nicht entsorgen. Das bereitet soviel Pein, dass
kein geringer Teil der Komfort- und Unterhaltungsindustrie daran arbeitet, die
allfälligen kollektiven wie individuellen Katastrophen vergessen zu machen oder
zumindest erträglicher zu gestalten. Der Einzelne wird je nach Charakter und
Bildung hier seine palliativen Mittel finden. Dabei sollte man nicht vergessen,
dass die Selbstbeschwörung, einen anderen Gang zu wählen als jene, die
solchermaßen gesellschaftlicher Ideologie unterliegen, sich durchaus als
Autosuggestion herausstellen kann.
Goedart Palm
7/28/2014
Schicksalsentsorgung
Wir leben in einer Entschädigungs-
und Versicherungsgesellschaft, die prinzipiell jeden Schicksalsschlag für
ausgleichspflichtig halten möchte. Nicht nur verbreitet Zivilisation seit
Anbeginn den Anspruch, das Individuum vor den Fährnissen der Zukunft immer
besser zu schützen. Maßgeblich soll der Umgang mit dem Opfer die moralische Fähigkeit
einer Gesellschaft demonstrieren, Gerechtigkeit immer umfassender zu
gewährleisten. Evolution ist mit dem Gerechtigkeitsempfinden so eng verkoppelt,
dass wir ständig messen und vergleichen und bei diesen Kalkulationen regelmäßig
zu dem wundersamen Schluss kommen, nicht so gerecht behandelt zu werden, wie
wir es doch "verdienen". Laufen die Dinge also schlecht, so kann das
niemals an uns liegen, sondern an den versagenden Entschädigungsinstanzen der
Gesellschaft. Kurzum: Das Opfer genießt einen privilegierten Status, den wir
als - mehr oder minder infantile - Auffangposition unserer Enttäuschungen gerne
einnehmen, wie immer völlig ungeachtet des Umstands, dass die wirklichen Opfer
dahinter verblassen könnten.
Goedart Palm
7/25/2014
Cézanne und die Lehre der Äpfel
Revolutionäre Äpfel waren eine
Sache des 19.Jahrhunderts, das diese Wahrnehmungsempfindlichkeit in bildarmen
Zeiten noch besaß. Nicht nur den Äpfeln ist die Revolution abhanden gekommen. Es
gibt Zeiten der Kunst und der Politik, die weniger bis wenig aufregend sind,
wenn man es sich nicht ohnehin mit dem Befund, in der "posthistoire"
zu leben, etwas gemütlicher macht. Engagierter formuliert scheint zu gelten,
dass die "subkutan-subversiven" Wirkungen der Kunst zur Veredelung
des Menschengeschlechts auch nur als frommer Glaube weiterleben.
Goedart Palm
7/16/2014
Weltmeisterliches Herumgehopse
Jetzt, wo es bereits in dem üblichen Erregungsmodus der
Medien, "Gauchogate" heißt, darf man konstatieren: Eine veritable
Fest- und Feierkultur jenseits der Albernheiten konnte man in dem weltmeisterlichen
Herumgehopse jenseits des Rasens, der die Welt bedeutet, nicht erkennen. Vielleicht
sollte man Feiern genauso üben wie "Standardsituationen".
Goedart Palm
Natürlichkeit/Unnatürlichkeit
Manchmal muss man die Dinge ein "bisschen
unnatürlich" gestalten, um sie wieder sehen zu können.
Goedart Palm
7/15/2014
Projektion des Anderen
Wenige Menschen sind dem Anderen besonders nahe. Regelmäßig
reicht uns dessen Projektion, die wir aus unserer Wunschidentität konstruieren.
Goedart Palm
7/06/2014
Durch die Wüste
Im Feuilleton einer regionalen Tageszeitung vermerkt der Kritiker, dass diese Kunst "Klischeevorstellungen in Frage stellt" sowie "mit sozialen Wahrnehmungsgewohnheiten aufräumt". Das ist schockierend! Vielleicht erträgt man noch die Konstruktion, dass Klischeevorstellungen lediglich in Frage gestellt werden und dann - wie der böswillige Leser denken möchte - schließlich doch unberührt bleiben. Aber wenn der Künstler mit "sozialen Wahrnehmungsgewohnheiten aufräumt", bewegen wir uns tief in der Wüste des Feuilletons. Stoßen wir vor in das Reich asozialer oder antisozialer Wahrnehmungsgewohnheiten? Kann ich auf jene Wahrnehmungen verzichten, die mich erst zu einem Teil dieser Gesellschaft machen? Hätte der Kritiker wenigstens selbst seine Klischeevorstellungen dieser dahinsiechenden Rubrik müßiger Kunstbetrachtung "in Frage gestellt", wäre unsere dehydrierte Wahrnehmung des Feuilletons vielleicht auf eine Oase gestoßen. Eine Oase, in der sich die Wahrnehmung von Kunst noch verständigungsorientiert vermitteln lässt.
Goedart Palm
Goedart Palm
7/01/2014
Kunst und Funktion
Wofür ist Kunst in ausdifferenzierten Gesellschaften
überhaupt noch zuständig? Künstler haben darauf viele Antworten. Zumeist
verweist man auf die generalistische
Zuständigkeit für das, was keine funktionale Zuständigkeit gefunden hat. Etwa
verwaiste Sensibilitäten, die in der Kunst und zunächst nur dort ihre
Gültigkeit besitzen. Wird die Kunst explizit politisch, läuft sie oft Gefahr,
parasitär auf die Verhältnisse zu reagieren. Das schließt nicht aus, dass
politische Kunst großartig sein kann, aber eben deshalb, weil sie es als Kunst
und nicht wegen ihrer Gesinnung ist.
Goedart Palm
6/30/2014
Kunst und Kunstmarkt
Interessant dürfte die Wandlung (resp. Auflösung) des
Kunstbegriffs sein, der letztlich dem Kunstmarkt und seinen Entfremdungen
vorgeht. Dass die müden Ausläufer des Geniekults und der kreativen Anmaßungen
sich noch länger als Betriebsvoraussetzungen dieses Marks halten, wäre doch der
eigentliche Aberwitz. Das ist aber nicht zu befürchten, weil die Kids ihre
Kreativität, die ohnehin zwischen Produktions- und Rezeptionslogiken nicht so kategorisch
einzuordnen ist, zumeist an völlig anderen Orten suchen.
Goedart Palm
6/26/2014
Kritiker Künstler Mythen
Die öffentlichen Zuweisungen von "Berufsrollen"
sollten nicht über die Rollendiffusion von Kritikern und Künstlern täuschen. In
einigen Fällen sind doch die Kritiker die Künstler und Kunstwerke höchst
geduldig gegenüber ihren "Gebrauchsformen". Wenn man den Begriff
"Kunstbetrieb" für richtig hält, sollte man sich darüber klar werden,
dass die Herstellung von Kunstwerken kollaborativ angelegt ist. Die besseren
Kollaborationen von Künstlern, Kritikern und Publikum mögen sich dann bis auf
Widerruf Mythen nennen.
Goedart Palm
6/21/2014
6/20/2014
"Sapere aude" in volatilen Zeiten
Bildung ist ein fragiles Gut,
weil vormalige Kanonisierungen wie etwa klassisch-humane Bildung oder
naturwissenschaftliche nur noch bedingt taugliche Kategorien der
Welterschließung bereithalten. Die gute alte Aufklärung ist kein Selbstläufer,
da der öffentliche Diskurs zumal in digitalen Zeiten sich als disparates Feld
darstellt, in dem jede Meinung ihre - mitunter fatale - Chance bekommt und
Wahrheit je unter Ideologieverdacht gestellt werden kann. "Sapere
aude", Kants Selbstermächtigungsformel, sich mutig des eigenen Verstandes
zu bedienen, ist in unübersichtlichen Verhältnissen zur Risikopackung geworden.
Insofern müsste sich die Bildung zunächst über sich selbst aufklären, was nicht
ausschließt, dass in komplexen Angelegenheiten der Vorhang zugeht und viele
Fragen offen bleiben.
Goedart Palm
6/19/2014
Sascha Lobo - Frank Schirrmacher - Jürgen Habermas
Sascha Lobo
erkennt "Frank Schirrmachers großes Vermächtnis" in der Quintessenz:
"Die wichtigste Waffe einer demokratischen Öffentlichkeit ist die
Debatte." Gegen Nekrologe kann man sich nicht gut wehren, hätten wir doch
gedacht, dass Jürgen Habermas diese Idee so umfassend entfaltet hat, dass es
keiner anderen Urheberschaft bedarf. Früher gab es gute Gründe, Spiegel-Essays
zu lesen...
6/02/2014
Neue Mythen braucht das Land!
Das Problem gegenwärtiger Wissenschaft ist die Produktion
neuer Mythen. Je komplexer Wissenschaft wird, desto wahrscheinlicher - Daten
hin oder her - wird ihre Fehlinterpretation, die sich regelmäßig dem
projektiven Interesse verdankt, sich die Welt so zu erklären, wie man es
braucht. Früher nannte man das Ideologie, was dann groteske Interpretationen
eröffnet, die immer auf den Verwender zurückfallen. Die Wissenschaft wird zur Magd der eigenen
Vorurteile, ob nun im Bereich der Politik, der Ökonomie, der Pädagogik, bis hin
zu Fragen der richtigen Ernährung oder Gesundheitspflege...
Goedart Palm
Überlebenstechnik
Überlebenstechnisch: Ich folge der Regel, lieber einer Regel
zu folgen, deren Wahrheitswert zweifelhaft ist als gar keiner. Einige Grillen sind
Regeln.
Goedart Palm
Regenmacher und andere Moderatoren
Die Hilflosigkeit gegenüber der eigenen überschießenden
Semantik. Gestern las ich in irgendeiner Postille den Begriff
"Wettermoderator", der wohl einsinnig gelesen werden soll. Dabei ist
der "Wettermoderator" natürlich die postmoderne Fortsetzung des
"Regenmachers". Dieses Jahr sind allerdings die Moderationsleistungen
eher schwach ausgefallen...
Goedart Palm
Parfüm und Moral
Die Herrschaft der Nase war
bereits vor Patrick Süskind ein Menschheitsthema. Parfüm verführt, was indes
die juristisch komplexe Frage aufwirft, ob hier nicht Entschuldigungsgründe bis
hin zur Paradiesgeschichte die geruchsstrategisch Verbundenen von Sünde
freisprechen. Gegen die gefährlichen Elixiere teuflischer Verführung ist womöglich
keine Macht der Welt gefeit. Doch die Nasenherrschaft erlebt in der
olfaktorischen Spätmoderne nun eine beispiellose Verschärfung. Denn "Gucci
Guilty Black" verströmt eine unvorherriechbare neue moralische Qualität: Statt
der vormaligen Verführung wird nun ohne Umwege sofort hoch dosierte Schuld verkauft.
Der moralische Exzess ist ab jetzt programmierbar bzw. einmassierbar. Reib dich
mit Schuld ein! Gucci selbst hat das eigene immoralistische Produkt allerdings nicht
ganz begriffen: Zwar bringt der Duft laut Packungsbeilage die "extremsten
Facetten zum Vorschein", aber in der Folge heißt es von den Duftträgern,
die wechselseitig von unbändiger Anziehungskraft angezogen würden, lediglich:
"...sie lieben die Gefahr und den Nervenkitzel." Das bleibt weiter
hinter der ultimativen Verschränkung von Duft und Moral, Sinnlichkeit und
Schuld zurück, auf die der Käufer doch einen Primäranspruch hat. Hier sind
Mängelgewährleistungsansprüche und Rückholaktionen zu erwarten, wenn der unmittelbare
Sündenfall ausfällt und die Gucci-Schuldigen auf die Fährnisse einer fragilen
Verführbarkeit zurückgestoßen würden...
Goedart Palm
Information Incest
Es gibt eine Vermehrung von
Informationen, die nicht nur mindestens ebenso bizarr, sondern sogar inzestuös
ist. Vorzüglich ist diese Technik bei Ereignissen ohne jedes verfügbare Wissen
einzusetzen: "Das Nachrichtenmagazin XYZ berichtet in seiner heutigen Ausgabe,
dass zu den irakischen Massenvernichtungswaffen weiterhin keine Informationen
vorliegen." Das "journalistische Ethos" führt hier dazu, dass
die Information der Nichtinformation des Kollegen wiederum als eigene
Information an die Öffentlichkeit weiter gereicht werden kann. Über diesen selbstreferentiellen
Sachverhalt könnte man dann auf einer nächsten Ebene erneut "aufklären"...ad
lib. Kurzum: Dieser Berufsstand und seine Artverwandten hat noch eine prächtige
Zukunft vor sich, solange er die geeigneten Leser findet.
Goedart Palm
RiffRaff
Deep Purple wird in die Geschichte der Menschheit eingehen,
weil sie jedem Hobby-Gitarristen die Möglichkeit schenkte, einen authentischen,
nicht mal schlechten Rockriff in - sagen wir - fünf Minuten zu lernen. Diese
Art von Musikpädagogik steht der Klassik nicht zu Gebote.
Goedart Palm
Mir ist heute so idiosynkratisch zumute
Es wird zur Konvention, Wahrnehmungsweisen zu durchbrechen.
Das Publikum reagiert auf die immer neuen Idiosynkrasien des Publikums
idiosynkratisch.
Goedart Palm
Manche Mühlen mahlen langsam...
Die Ausstellung "Gilbert
& George - London Pictures" im Museum Küppersmühle repräsentiert
vorzüglich, wo die weiland als modern gefeierte Kunst inzwischen steht bzw.
hängt. Die umliegenden Cafés und Restaurants sind bei strahlendem Wetter gut
besucht. Hier indes in den heiligen Hallen des unteren Stockwerks erscheinen praktisch
keine Besucher, als hätten G & G die Bilder diesmal eigens für mich geschaffen.
Dabei heißt es im Prospekt des Museums "Erleben Sie spannende
Ausstellungen und eine der schönsten Sammlungen deutscher Kunst von den 1950ern
bis heute..." Überzeugen will sich davon an diesem arbeitsfreien Feiertag kaum
jemand. Das Erlebnisangebot der Avantgarde hat den einstigen Kampf wider die
Museen augenscheinlich zum Sieg geführt und sie in Mausoleen transformiert. Auch
ich vermag gegenüber den aus der englischen Klatschpresse gesammelten Schlagzeilen
des "living sculpture"-Duos nicht aufmerksam zu bleiben. In den
oberen Etagen sieht es nicht viel besser aus. Traurig und unbesehen hängt das
Informel neben Gerhard Richter und den üblichen Prächtigen an den Wänden. Eine
leichte Euphorie erfüllt die Museumswächter bei meinen Anblick, wenigstens
einer schaut mal rein. So kämpfe ich einen aussichtslosen Kampf gegen das
Programm der Avantgarde...
Goedart Palm
Iceberg - A Pundemonium
"Iceberg!,
Iceberg!", yelled the petty-four officer of the custard liner RMS Carpaccio.
But all passengers survived the dis(t)aster and steamed safely to New Pork...Sorry
for this pynchonian repas-time ;-)
Goedart Palm
Beuys, Wilde und andere Lügner
Zu angeblichen Lebenslügen von Beuys: Ich habe jene Biografie nicht
gelesen. Aber es ist wohl einigermaßen absurd zu glauben, man könnte einen
Künstler der Lüge überführen. Oscar Wilde hätte sich bei diesem Gedanken vor
Lachen zerkugelt oder in feine von A. Beardsley gezeichnete Luftblasen
verwandelt...
Goedart Palm
Stolz und Unverständnis
Wieso ist einer stolz auf sich selbst? Was ist denn dieses
stolze Selbst, das sich aus tausendundeins Umständen zusammensetzt, die nicht
diesem Selbst als Verdienst zuzurechnen sind. Allerdings eine völlig andere
Frage: Ist es aus pragmatisch-(auto)politischen Gründen opportun, Stolz zu sein
- als ein weiterer Wechsel auf die Zukunft. Stolz kann ein mächtiger Motor sein
- im Guten wie im Bösen.
Goedart Palm
Kunst, Kreativität und andere Kleinigkeiten
Dass die Kunst nach Brot geht, gilt für die Erfolgreichen
wie die Erfolglosen. Doch das Verhältnis von Kunst und Geld bescheidet sich
gerade in Zeiten von "Mein Haus, mein Auto, meine Yacht" nicht auf
eine Äußerlichkeit oder gar eine Marginalie. Denn wenn Geld zu einem Parameter
des Erfolgs wird, setzt das im Guten wie im Schlechten Energien frei, die Kreativität
anregen, aber auch korrumpieren können. Das mag im Fall von Baselitz so oder
anders gesehen werden. Aber dass Künstler glauben, sich von dieser gesellschaftlichen
Akzeptanzform frei zeichnen zu können, wäre nur eine Pose. Die hält sich zwar
seit der mehr oder minder narzisstischen Rede von der künstlerischen Autonomie
hartnäckig, aber die Warenform, insbesondere die Gleichförmigkeit vieler
ästhetischer Produktionen spricht eine andere Sprache.
Goedart Palm
Im Reich der Körnerbrötchen
"Haben Sie ein Körnerbrötchen
oder etwas Ähnliches". Ich bin heute nicht müde genug, um über dieses
Desiderat hinweg zu hören. Ein "studentenähnlicher" Mensch mit dem geschniegelten
Outfit des frühreifen Luxus-Stipendiaten wirft kategoriale Fragen auf. Etwas Ähnliches?
Was mag das sein? Ein Brötchen, das mit Vitaminen, Mineralien und
Ballaststoffen hochgejazzt wurde? Gottlob werde ich von einer anderen
Verkäuferin bedient. Hinter Körnerbrötchenähnlichkeitssuchern zu warten, lässt
einen bereits im Vorhof der Hölle schmachten. Andererseits ist das Sortiment
der Körnerherrlichkeiten in dieser Bäckerei überschaubar. Schließlich besinnt
sich die Verkäuferin auf ihre Kern-, um nicht Kornkompetenz zu sagen. Ihr kühner
Vorschlag durchbricht sämtliche Fragen nach der Ontologie des Körnerbrötchenähnlichen:
"Wie wäre es mit einem Korneck?" Genial, nicht die Quadratur des
Zirkels, aber doch die Verwinkelung des Körnerbrötchens. Fast alle
fundamentalen philosophischen Probleme können an Verkaufstheken paradigmatisch
werden....
Goedart Palm
Goedart Palm
"Was ich mir wünsche"
Erich Mielkes schönste Fantasie bestand darinl, von Kellnern und Bediensteten zu verlangen, dass man führenden Staatsrepräsentanten
ihre "Wünsche von den Augen
abzulesen" habe. Wenn das Volk die Wünsche seiner liebenden
und geliebten Führer erkennt, die selbst redend nie anders als legitim und
volksnah sein können, wird Zwang von einer projektiven Sekunde zur nächsten zur
Freiheit. In dieser Konstruktion sozialistischer Liebe, die einige Affinität
zur kantischen Pflichtenethik aufweist, macht die Unterscheidung von Demokratie
und Diktatur keinen Sinn mehr...
Goedart Palm
Ideal und Ideologie
Dass das Ideal von der Ideologie
im schlechten Wortsinne, sprich: Lug und Trug, nicht weit entfernt ist, hatte Pierre-Joseph
Proudhon mit der antireligiösen Feststellung „Wer Gott sagt, will betrügen“
markiert. Bei dem politisch höchst vorbelasteten Carl Schmitt lautet das säkulare,
aber nicht weniger spektakuläre Remake: „Wer Menschheit sagt, will betrügen“.
Allerdings mag es mitunter nicht minder ideologisch sein, sich von Ideologie
freizuzeichnen. Denn dass alle Menschen ihr Korsett von unüberprüften Überzeugungen
mit sich herumtragen und notfalls mit Herzblut verteidigen, dürfte unstreitig
sein.
Goedart Palm
3/22/2014
Minikommentar Modefotografie
Wenn Authentizität das wahre innere Selbst ausdrückt (Lionel
Trilling), werden romantische Kunst und ihre diversen Spätformen zu Anwärtern
dieses Anspruchs. Gibt es einen nichtauthentischen van Gogh? Dort wo Kunst den
Schein als Sein setzt, wird Authentizität indes zur fragilen Kategorie. Mode repräsentiert
nicht das Selbst, sondern inszeniert es. Das Spiel mit dem Authentischen mag
dann als eine Form paradoxer Authentizität gelten. Für Modefotografie gilt
nichts anderes.
Goedart Palm
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