7/08/2011

Juli 2011- Festspielhaus-Initiative: "Jetzt Schätzchen"

Wer so für das Festspielhaus Bonn wirbt, entlarvt sich als Unzeitgenosse. Denn hatten wir nicht "Zur Sache Schätzchen", ein Film dessen Erfolg nach Aussage seiner Macher maßgeblich von diesem - vor Jahrzehnten (1968, Regie: May Spils) - dynamischen Titel abhing. Da ging was ab! Vermeintlich oder wirklich. Aber "Jetzt Schätzchen" klingt so altbacken wie semantisch hilflos. Hinzu tritt die Konnotation der Flohmärkte, auf denen man "Schätzchen" kaufen und zunächst finden mag. Es gelingt den Festspielfreunden in ihrer vermeintlich hippen Unternehmensästhetik, die etwa auch ein großes Telefonie-Unternehmen in Bonn ohne nachvollziehbare Gründe pflegt, absolut nicht, Eros oder/und Pathos in das noble Anliegen der Kulturbereicherung zu bringen. Schon fragt man sich, wer für solche Werbung zuständig ist. Das zugehörige Video ist eine Mischung aus Melitta-Werbung und "Rendezvous unterm Nierentisch". Darüber möchte man Ludwig van Beethoven vergessen. Als Toast-Tattoo wird Ludwig "röstbraun" und schmeckt auch so. Vielleicht hätte man mal mit einer Klasse von Abiturienten über "krasse" Ästhetik nachdenken sollen. Oder bestätigt sich hier, dass das Festspielhaus doch nur vornehmlich ein Klientel hat, das sich hier angesprochen fühlt? Das zweite Video verschlimmert allenfalls noch den Tatbestand. Die Kinder würden es als "Pseudo" bezeichnen. "Echt, Alter, ich schwör..."


Goedart Palm


P.S.


JAQUINO
Jetzt, Schätzchen, jetzt sind wir allein,
wir können vertraulich nun plaudern.

MARZELLINE
Es wird ja nichts Wichtiges sein,
ich darf bei der Arbeit nicht zaudern...






Eiszeit - Reviewed

Wenn am 06.08.2011 die Beteiligung an der Festspielhausinitiative unter 1.000 Unterzeichnenden liegt, stellt sich die Frage, ob diese Strategie, eine öffentliche Meinung zu produzieren, so geschickt ist. Beeindruckt Kommunalpolitiker eine solche Zahl in einer Stadt von der Größe Bonns? Es ist das ewige Dilemma: Der Sinn von Kultur ist nicht demokratisch erfassbar. Die Wirkungsverhältnisse sind differenzierter, als es einer breiten Öffentlichkeit einleuchten mag. Insofern wäre hier im Paradox zu reden: Es geht um den Luxus der Notwendigkeit. Es geht um eine mehrwertige Kulturlogik gegenüber der kalkulierenden Vernunft der Politik im Blick auf die vermeintliche öffentliche Meinung. Aber wer dieses Paradox wählt, läuft Gefahr, ignoriert zu werden. Denn im Grunde setzt es Kultur voraus, die Notwendigkeit von Kultur zu erkennen. Aber auch das ist nur eine blässliche Aussage, solange nicht klar ist, von welcher Kultur man redet. Die Abstinenz, den eigenen Kulturbegriff zu definieren, scheint in allen populistischen Darstellungen durch, das Festspielhaus zu fordern. Es ist ein latente Unehrlichkeit, Kultur als Gut zu beschwören, ohne anzugeben, für welche Kultur man warum optiert. Ist alle Kultur schön, wie es etwa die Pop-Art insinuierte, gibt es keinen veritablen Grund, ein Festspielhaus Beethoven zu bauen. Denn jene Kultur im allgemeinsten Sinne findet sich gleichermaßen in den mit Werbung verklebten Bussen der Stadt wie in den Geschenk-Beilagen von Burger-Herstellern. Von "Kultur für alle" ist es nur ein winziger Schritt hin zu "Kultur ist alles", was dann jede weitere Kulturaneignung gleich miterledigt. Wer also nicht Farbe bekennt zu seiner Kultur, sondern nur Beethoven exklamiert oder plakativ populistisch reagiert, darf sich nicht wundern, wenn seine Null-Botschaft Menschen nicht erreicht. Das ist marketingstrategisch eine womöglich unlösbare Aufgabe. Dann sollte man allerdings seine Anstrengungen nicht darauf richten.

Vielleicht aber gibt es die Option, den je eigenen Kulturbegriff zu konturieren, wirklich und nicht nur rhetorisch Farbe zu bekennen, und einer Öffentlichkeit ein ernstes Anliegen zu demonstrieren. Das könnte ein riskantes Unterfangen werden, wenn die Öffentlichkeit erkennt, dass der Kulturbegriff hinter dem immer noch rein virtuellen Festspielhaus unter gegenwärtigen Auspizien seine elitistische Tönung nicht verbergen kann. Doch vermutlich wäre das effektiver, wenn man darin begreifen würde, dass Kultur als politisches Marketingprodukt eine belanglose Materie ist und die Front kultureller Auseinandersetzung an einer völlig anderen Stelle liegt.

Goedart Palm

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