Intro zum "kommenden Aufstand" unter Glanz und Elend
Zundelfrieder & der Rest der coolen Gang in Zeiten der Globalisierung
von Goedart Palm
Der weitgehend vergessene Moralist Antoine de Rivarol betrachtete in seinem politischen Journal eines Royalisten, das die Zeit vom 5. Mai bis 5. Oktober 1789 umfasst, die revolutionären Ereignisse in Paris. Rivarol litt mächtig unter der gewalttätigen Demontage des Ancien Régime. Unerträglich ist ihm der »Pöbel«: Marktweiber, Kriminelle, Lumpengesindel. Er kann nicht begreifen, dass die ehrenwerte Leibgarde des Königs keinen Widerstand gegen dieses Pack leistet und sich lieber erschießen lässt. Wie kann man sich das Gesetz des Handelns von diesem Abschaum diktieren lassen? Der gegenwärtige Adel ist nur noch ein bleiches Abbild seines einstigen Glanzes. Der Patriotismus der Aufständischen sei nur ein ideologisch billiger Trick, die Diktatur des Pöbels zu rechtfertigen. Vor dem Hintergrund einer so paradigmatischen wie bluttriefenden Bemerkung Saint-Justs »Diejenigen, welche ich angezeigt habe, haben niemals ein Vaterland gekannt…« wird die herrschaftsgeladene Auslegung von Blankettformeln zum Apriori des Terrors. Früher ging es bei nur einem König den Leuten gut, die »Barmherzigkeit« funktionierte, nun gibt es unzählige Groß- und Kleintyrannen, räsoniert Rivarol. Die Menschen schreien schlimmer als je zuvor nach Brot. Der Pöbel sei indes selbst nur ein Instrument windiger Kapitalisten und verlogener Figuren wie der des doppelzüngigen Mirabeau. Der neu entdeckte Patriotismus, den Robespierre rechtschaffenen und erhabenen Menschen zurechnet, sei die billige Währung, die an den jeweiligen Wechselkurs der Macht gebunden ist. Paul Lafargue, der Schwiegersohn von Karl Marx, hatte für den »homme de lettres« Rivarol nur Verachtung übrig. »Dieser spirituelle Parasit« sei verantwortlich, dass «der Hass vertieft und der Kampf bis ans Äußerste getrieben« worden sei. Folgt man dem »Neger« (Marxens Terminus für seinen Schwiegersohn) Lafargue und den Vertretern einer »wissenschaftlichen« Theorie des Klassenkampfs, gibt es historisch gesetzmäßige Verlaufsformen. Stellt man sich dem in den Weg, wird nur das Blutbad vergrößert. Aber wie sollte das Rivarol in der aktuellen Situation erkennen? Und ist es überhaupt wahr? Wäre nicht ein beherztes Eingreifen der Royalisten und der königstreuen Truppen erfolgreich gewesen, so wie es Rivarol behauptet. Angst sei ein schlechter Berater. Dann wäre die glorreiche französische Revolution eine bloße Revolte geblieben. Der Pöbel wäre »niederkartätscht« worden, so wie es Napoleon ohnehin als probates Mittel zur Behandlung von Volksaufständen ansah. Es hätte einige sozialstaatliche Verbesserungen gegeben und die Eigentumsordnung wäre weitgehend unangetastet geblieben. Histomat und Diamat hätten sich auf dem Bahnhof der Geschichte noch ein bisschen die Beine vertreten müssen. Virtuelle Geschichtsschreibung vermag aus Revolutionen Revolten zu machen und vice versa aus Revolten Revolutionen. Ob Freiheit und Gleichheit, Demokratie und Rechtsstaat der Geschichte letzter Schluss sind, ist auch heute nur für die entschieden, die das Telos der Geschichte bereits kennen, also die Verfassungstreuen nicht weniger als die Aufständischen mit der fragmentarischen Gebrauchsanweisung. »Das Warten auf die revolutionäre Situation und das unvermeidliche und verhängnisvolle Zögern, wenn sie eingetreten ist, gehören nach den Erfahrungen der Volkskriege einer vergangenen, noch unreifen Epoche der Revolutionsgeschichte an«, schrieb wie immer besserwisserisch die RAF 1971. Es sei ihnen egal, ob das »reines Abenteurertum«, »Blanquismus«, »Putschismus« oder »Anarchismus« genannt werde, wenn sie nur der Revolution in Deutschland einen Schritt näher kämen. Sie glaubten sich nicht nur der Revolution, sondern vor allem dem revolutionären Hexenmeister Lenin nahe, der ähnlich gegenüber seinen Kritikern aus dem eigenen Lager konstatiert hätte, derlei Vorbehalte gegen die Aktion seien »unrichtig, unhistorisch und unwissenschaftlich«...weiter
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