3/19/2010

Zur Premiere: IN MARMOR von Marina Carr


Inszenierung: Klaus Weise
Donnerstag, 18. März, Kammerspiele Bonn

Das Paradox der Selbstverwirklichung: Wer beginnt über das wahre Leben zu reflektieren, verfehlt es bereits. Zumindest gilt das für die holistischen Konzepte von Persönlichkeiten, die mit sich eins (sind das nicht bereits zwei?) jenseits des Welt- und Selbstzweifels leben. Das mag idealistisch plausibel sein, hat aber nichts mit den Widrigkeiten der „conditio humana“ zu tun, die nur als fatale Verstrickung des Selbst mit der Welt gelten kann. Die Marmor-Träume sind die Kehrseite dieser Gier nach Selbstverwirklichung, die nie zur Ruhe kommt, weil sie im falschen Modus arbeitet. Uneingelöste Träume perforieren die ohnehin angeschlagene Wirklichkeit, während doch die wahre Selbstverwirklichung wäre, sich von diesen Träumen loszusagen. Denn der Traumpartner ist so ungeeignet wie der reale Ehepartner, ja mehr: die eigene Identität kann den selbstreflexiven Schleifen in der paranoid-kritischen Traumrevision nicht entrinnen. Die multiple Existenz unvereinbarer Wunschkonstruktionen lässt vollendete Geschichten nicht einmal als Flucht aus der Wüste des Alltags zu. „IN MARMOR“ ist keine psychologische oder euro-ethnologische Geschichte, die Figuren Marina Carrs sind Statisten eines falschen Persönlichkeitskonzepts, freilich eines, das mit solcher Macht in unsere Hirne massiert wurde, dass es sich als natürlich ausweisen möchte. Der Zwang zur Selbstverwirklichung ist ein perfides double-bind, das eifrig medial genährt wird. Wer sich vom Terror der Authentizität respektive des authentischen Lebens frei machen will, wird diese Identitätsform eines sich mit sich selbst einigen „Ichs“ allenfalls als selten gewährtes Mini-Sartori genießen. Weder die Apologeten des Bestehenden, der Familie, des Alltags etc. noch die erregten bis hysterischen AusbrecherInnen sind brauchbare Modelle. Wenn es also menschlich ist, sich nicht mit selbst zu identifizieren, so paradox das sein mag, ist es mindestens ebenso klug, Theaterfiguren nicht mit realen zu verwechseln. Irgendwann begreift eine der Figuren Carrs nämlich, dass die Sprache und schon gar nicht die mit selbstischen Interessen verkoppelte Rede je etwas anderes kann, als sich über sich selbst – gründlich und folgenreich - zu täuschen.

P.S. Vielleicht hätte die einfühlsame Lichtregie die Ambivalenz des Marmors in seiner Härte und Unschuld schockhaft in das Bühnenbild einführen sollen. Im Übrigen ist die Inszenierung von Klaus Weise aber sehr plausibel.

Goedart Palm

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