3/23/2011

Die Geburt der Aufklärung aus dem Geist des Salons




Gefährliche Erbschaften

Denken ist trivialerweise von produktiven gesellschaftlichen Bedingungen abhängig. Ohne Universitäten, Akademien, Klosterschulen, Salons, Cafes, Elfenbeintürme und Einsiedeleien der unterschiedlichsten Art wären viele Hirnprodukte nicht möglich gewesen. Wie viel verdankte die Aufklärung des Menschengeschlechts dem »Salon«, einer Sphäre jenseits öffentlicher Kontrolle, jenseits von drakonischen Strafen für Kritiker und gnadenloser Zensur für die Häretiker der Neuzeit? Die Geburt der Aufklärung aus dem Geist des Salons folgte vordergründig der Synthese von Lust, List und Vernunft: »Lecker essen« und noch erheblich delikater denken, um die alte Gesellschaft in eine lichtvollere, geistig unabhängigere, zwanglosere Zukunft zu überführen. Die intellektuelle Privatheit bereitete Sprengungen vor, Umwandlungen der Öffentlichkeit, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Gerade die Zensur war insoweit produktiv, als sie den Zusammenschluss der Denker als Keimzellen einer besseren Welt förderte. Not macht nicht nur erfinderisch, sondern motiviert gerade den Kampf gegen die Repression. Diese Kämpfe, Siege und Niederlagen, Zentren und Peripherien schildert der Historiker Philipp Blom farbig und detailliert, sodass die Lebendigkeit seiner Rekonstruktion zu einer veritablen Zeitmaschine wird. Die Aufklärer um Denis Diderot (1713 -1784), Jean-Baptiste le Rond D’Alembert 1717 – 1783), Paul Thiry d'Holbach (1723 – 1789), Claude Adrien Helvétius (1715 – 1771), Julien Offray de La Mettrie (1709 – 1751), Friedrich Melchior Baron von Grimm (1723 -1807) und anderen werden in ihren produktiven Philotopen so präsentiert, dass uns jetzt fast nur noch das Ego Thinker-PC-Spiel zum Buch fehlt.

Auch Vorläufer wie Jean Meslier (1664 - 1729) und viele andere Nebenfiguren der Meisterdenker, Ehefrauen und Freundinnen betreten die Bühne, wie die kongeniale Freundin Diderots, Sophie Volland (1716 - 1784), von der keine Zeile überliefert ist. Dabei war der Einfluss der Frauen auf das Werk der Aufklärung erheblich, auch wenn Diderots für heutige Ohren eigenartiges Kompliment darin bestand, seiner Sophie zu attestieren, »kaum« eine Frau zu sein – sprich: männerspezifischen Verstand zu haben. Nicht zu überschätzen ist die Bedeutung der Salonières Madame d'Holbach, Madame Helvetius oder Madame Geoffrin, die »eine Art von Hauptquartier der Enzyklopädisten« (Erich Köhler) unterhält. Diese kosmopolitischen Salon-Netzwerke verdichten sich gleichermaßen zum Panoptikum eines philosophischen Großprojekts wie in der Retrospektive zu Sehnsucht begründenden Orten einer klandestinen Heimat des Geistes. Dieser soziale Mikrokosmos der Aufklärer spiegelt die Dynamik ihres Denkens besonders gut wider, weil hier zum ehesten in glückhaften Momenten die Bedingungen einer kommunikativen Vernunft eingelöst wurden, so wenig das an dem Umstand ändert, dass Salons zugleich die größten Klatsch- und Tratschorte waren, wo zwischen Liebeshändeln und Alltagskram alles Menschliche verhandelt wurde.

Die »philosophes« waren umtriebige Leute, die ersten wirklich Modernen, die aus der alten Ordnung herausgerissen zu produktiven Meistern des Multitasking wurden, zu Arbeits- und Lustmaschinen zwischen Vernunft und Gefühl, Lektüren und Skripturen, Familien und Mätressen, Salons und Zensoren. Nun begehen wir hier historisches Terrain, das bereits zuvor recht gut ausgeleuchtet wurde, weil die geschichtlich präzedenzlose Verschränkung von Denken, Philosophie, Naturwissenschaft und Politik den gewaltigsten gesellschaftlichen »Knall« produzierte und die Philosophie erstmals berechtigte, an ihre seit je geforderte unmittelbare Wirkungsmacht zu glauben.

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