Der Kapazitätsvorbehalt ist
tendenziell in der Lage, jedes Kulturbudget zu liquidieren. Denn im Zweifel
gibt es immer irgendwelche vorrangigen Prioritäten. Kultur benötigt niemand zum
Überleben, so wenig Kulturkämpfer aller Couleur müde werden, gerade das zu
behaupten. Wer den Sozialstaat gegen den Kulturstaat ausspielt, so es denn
einen Kulturstaat überhaupt geben sollte oder darf, sieht die Kultur als
Verlierer. Wann hätte je eine Kulturausgabe gerechtfertigt werden können, wenn
Menschen an unerträglichen Lebensverhältnissen leiden? Und welcher Maßstab gilt
hier? Geht es um globale Betrachtungen, kann Kultur, schon gar nicht jene, die
elitär zu sein scheint, sich gegen das Weltelend versichern. Aber selbst
im lokalen, kommunalen Bereich wird das Geld für Kultur knapp, wenn es um
Prioritäten geht, die einer Maslowschen
Bedürfnispyramide folgen. Kultur ist gegen das Argument "... denn
das übergeordnete Ziel lautet schließlich, nur so viel Geld auszugeben, wie wir
auch haben" (Jürgen Nimptsch, Wider den Kulturinfarkt) kaum je zu
schützen. Wer dagegen argumentiert, sollte sich klar machen, dass seine
Erörterung notwendig ambivalent gerät. Denn Kultur ist Luxus und Notwendigkeit
zugleich, was sich einer rein kameralistischen Betrachtung, aber auch dem
Standardverständnis von Kulturfunktionen eher nicht erschließt. Kultur als
Luxus und Notwendigkeit heißt
Langzeitwirkungen kultureller Investitionen zu erkennen. Das Geschwafel von den
kulturellen Subventionen ist ohnehin nichtssagend, weil Gemeinwesen nun mal nur mit Subventionen existieren
können. Wer also auf Oper verzichtet, weil sie der Gemeinde zu teuer kommt,
sollte auch nicht mit der Straßenbahn fahren. "Investitionen" ist
gegenüber "Subventionen" die erheblich komplexere Vokabel, mit der
sich kulturelle Effekte verbinden, die vielleicht den Begriff einer kulturellen
Generationengerechtigkeit plausibel machen könnten. Direkter gesprochen: Wer in
Kultur investiert, vermag wenig statistisches Material zu produzieren, das
Politikern hilft, ihre Programme erfolgreich zu verkaufen. Insofern ist
Kulturpolitik, vor allem die provinzielle, immer schon im Verdacht gewesen, ihre
Substanz zu verfehlen. Ohnehin: Sollte
nicht das Zuständigkeitsverhältnis einmal umgekehrt werden? Könnte nicht die
Kultur die Priorität gegenüber der Politik, insbesondere gegenüber jener
kulturlosen Variante von Politik, für sich reklamieren? Es gab eine Zeit, in
der das Verhältnis von Kultur und Politik nicht von allen so definiert wurde,
Kultur in die Abgeschiedenheit institutionalisierter Sicherheit zu
verabschieden, während Politik vorgeblich mit den realen Lebensverhältnissen zu
tun hatte. Wäre die Kultur eine, die den Namen verdient, würde sie sich wohl
nicht in das Abseits drängen lassen. Allein die Begrifflichkeit eines
"Kulturinfarkts" macht deutlich, wie weit wir von einer solchen
Kultur entfernt zu sein scheinen.
Goedart Palm