6/10/2008

Brockhaus Revisited

Die 21. Print-Ausgabe des Brockhaus von 2006 könnte nach jüngeren Presseerklärungen des Verlages die letzte sein.

Nur wenige Jahre zuvor war man noch guter Dinge: Die Brockhaus-Enzyklopädie 2000 von André Heller gestaltet und "inszeniert" (Verlagsprospekt). Dass der Mensch einen Brockhaus brauche, mag im Zeitalter elektronischer Medien nicht länger einsehbar sein. Also muss er "inszeniert" werden: Der Zirkuskünstler Heller gestaltet eine Einbandgalerie mit 312 Originalfundstücken, Mercedes-Silberpfeil, Tennischläger von Boris Becker und noch viel mehr -präsentiert in dreidimensionalen Acrylvitrinen, eingebunden in nigerianischem Ziegenleder - für zweitausend Sammler zum Vorauszahlungspreis von 18.800 DM. Die Idee ist so grotesk, dass sie auch den Nichtleser überzeugt. Dieser inszenierte Vitrinen-Brockhaus ist kein armseliges Nachschlagewerk, sondern soll nach dem Willen des Schöpfers ein Kunstwerk sein, zumindest ist er eine Sammlung von Trouvaillen, die auf die Karte des Wissens geklebt werden. Wo früher der Begriff über den Gegenstand regierte, herrscht heute das Objekt. Pure Unmittelbarkeit gegen blindwütige Monitorisierung des Wissens. In die Geschichtsschreibung und Wissensverzeichnung wird die Geschichte als Fetisch eingeführt. Reliquien unserer Zeithöhepunkte, sorgsam verwahrt wie Blut Christi, lignum crucis. Wir wohnen einer religiösen Handlung bei, Brockhaus hebt die Monstranz, zeigt den Leib dieses Jahrhunderts, eine Hostie, die wir essen werden, um zu bezeugen, den Zeitgeist in uns zu haben. Ego te absolvo - "verlieren Sie also keine Zeit" (Verlagsprospekt). Wie sollte ich Zeit verlieren, wenn ich mir die Geschichte selbst einverleibe?

Auch diese Rituale versagen vor der Virtualität. Wir wohnen einem weiteren beispiellosen Akt des Kannibalismus bei...

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