6/10/2008

In memoriam Peter Rühmkorf

In memoriam Peter Rühmkorf, ca. 1997 geschrieben:

Tabu I - Tagebücher 1989 - 1991

Reinbek bei Hamburg 1997

Wer dies berührt, berührt einen Mann.

Rühmkorf, der Dichter, hat sein "erstes" Tagebuch veröffentlicht und vermutlich meint er sich selbst, wenn er den Altersstil als eine Art von Auslaufproduktion bezeichnet. Tagebücher ringen dem Leben post festum Geschichte und Geschichten ab. Sie retten der Erinnerung die vielen alltäglichen Partikel der Identität, machen das Leben zwar nicht rund, aber nachvollziehbarer. Für Leser sind Diarien oft eine Zumutung, da sich das konkrete Leben in seinem stolpernden Zeitablauf als Sammelsurium der Ereignisse darstellt. Aber gerade hier legitimiert sich mitunter die fremde Lebensgeschichte für Leser, die auch nicht stromlinienförmiger zu leben verstehen, die auch immer wieder in die biographischen Irrungen und Wirrungen eintauchen: "Und immer wieder mal die Frage nach einem sinnvoll geführten Leben in einer wahnsinnig gewordenen Welt."

Je älter der Verfasser, um so mehr erfahren wir über seine Zipperlein. Auch Rühmkorf spart hier nicht mit schmerzhaften Intimitäten, er zeigt uns seine "vita dolorosa" zwischen den Vorboten des Endes und vorübergehender Pein. Leiden und Literatur sind nicht nur in Deutschland Geschwister. Gelitten haben sie alle: Lichtenberg, das Körperchen, Nietzsche, der aussichtslose Wille zur Gesundheit, Cioran, Schärfe aus tiefster Verbitterung, Pavese, moribund und todesentschlossen. Rühmkorf nimmt´s auch nicht leicht, aber spöttisch genug, um nicht fragwürdige Größe aus teutonischer Leidensverliebtheit zu generieren. Er hält sich poetisch vital gegenüber der selbstverschuldeteten Verwrackung: "Vergiftet vom gestrigen Tag: Zigaretten, Hanf, Whiskey, Campari, Bier, Wacholder." Ja, so lustig bis körperzehrend leben die Dichter alle Tage. Rühmkorf gelingt die ironische Selbstdistanz zu alten Abhängigkeiten und neuen Gebrechen. Dabei geht´s ihm nicht um einen "kleineleutehaften" Offenbarungsgestus, keinen gerontophilen Lamentationsgegenstand, der zum geschwätzig-sprachlosen Stoff der Talkshows avancierte. Rühmkorf zeigt seine Pflaster und Pflästerchen, die Behelfsmäßigkeiten, aus denen ein Leben, zumindest wenn es noch nicht zum Mythos geworden ist, besteht.

Aber das ist nicht alles, was der Dichter zu berichten weiß. Wie sagt Rühmkorf? "Ja posthum, da könnte ich viel erzählen!" Immerhin gelingt ihm dies zu Lebzeiten auch schon. Zwischen Begegnungen, Reisen, Speisenkarten, Rezepten, Lektüren, Fernsehen ("In-Ferno") hat Rühmkorf alle Augen und Ohren voll zu tun. Ein Kessel Buntes aus Aphorismen, Beobachtungen mit Tiefenschärfe, aber eben auch Alltäglichkeiten bis hin zum Blumengießen - Rühmkorf rekapituliert seine wachen Tage so fröhlich-unfröhlich und disparat wie das Leben nun mal ist. Und späte Dichter können alles brauchen, was im Alltagsgebrauch der Zeitgenossen oft vorschnell auf dem Sperrmüll der persönlichen Geschichte landet.

So hat dieser Mann zwar trotz seiner siebzig Jahre noch kein Oeuvre, das ledergebunden im Goldschnitt Schrankwände verzieren könnte, aber wenn weitere Tagebücher folgen, könnte ihm selbst das noch gelingen. Sein erstes Tagebuch ist es jedenfalls wert, in die Geschichte der wichtigen europäischen Tagebücher eingereiht zu werden - auch wenn er für diese Feststellung vermutlich nur gelinden Spott übrig hätte. Aber zuletzt lacht immer die Geschichte.

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